Friedrich L. Sell und Felix Stratmann von der Bundeswehr Universität München haben ein sehr lesenswertes Metapaper zu theoretischen Konzepten und empirischen Belegen zur Einkommensverteilung in Deutschland verfasst (Verteilungs(un)gleichgewicht in Deutschland: Zweieinhalb theoretische Konzepte und fünf empirische Belege).
Hier die aus meiner Sicht zentralen Aussagen des Papers:
- Ungleichheit in unserer Gesellschaft ist gewollt – sonst gäbe es diese in einer Demokratie nicht.
- Das Maß an Ungleichheit variiert kaum: Die Sekundärverteilung (also was die Bürgern nach der Umverteilung durch den Staat bleibt) ist in fast allen entwickelten Ländern in den vergangenen 50 Jahren gleich geblieben.
- Die Menschen sind dann mit ihrem Einkommen zufrieden, wenn Sie mehr verdienen als die Menschen in ihrem beruflichen oder privaten Umfeld.
- 66 Prozent der Deutschen sind mit ihrem Einkommen zufrieden.
- Der Grund, warum zwei Drittel mit ihrem Einkommen zufrieden sind, liegt an einer verzerrten Wahrnehmung bei den Einkommen. Viele Menschen nehmen den Modus der Einkommensverteilungskurve als durchschnittliches Einkommen wahr. Der Modus ist der höchste Wert auf der Kurve (siehe Abbildung, aus Sell-Paper), er gibt an, welches Einkommen am häufigsten vorkommt. Das Modus-Einkommen ist also in der Gesellschaft das sichtbarste. Weil die Einkommensverteilung aber linkssteil und rechtsschief ist, verdienen 2/3 der Menschen mehr als das Modus-Einkommen. Andere “Durchschnittswerte” wie der Median (die Häfte der Menschen verdient weniger, die Hälfte mehr als das Median-Einkommen) oder das arithmetische Mittel (alle Einkommen werden addiert und durch die Zahl der Einkommenbezieher geteilt) liegen rechts vom Modus, bezeichnen also ein höheres Einkommen. Sie wären eigentlich geeignetere Bezugsgrößen für das eigene Einkommen. Weil die Menschen aber den Modus als Vergleich zu ihrem Einkommen heranziehen, sind 2/3 mit ihrem Einkommen zufrieden.
- In den vergangenen Jahren hat die Ungleichheit zugenommen. Der Ungleichheit messende Gini-Koeffizient pendelt in Deutschland schon seit Jahrzehnten zwischen 0,25 und 0,3. Allerdings ist der Gini-Koeffizient von 2003 bis 2008 kontinuierlich gestiegen und “stößt 2008 an die Decke von 0,3, um danach wieder leicht zu fallen.”
- Neben der tatsächlichen Ungleichheit hat auch die Vorstellung über die Ungleichheit zugenommen. Die Einkommensverteilung in Deutschland wird nur von einer Minderheit als gerecht empfunden (35 Prozent in der Oberschicht, 20 Prozent in der Mittelschicht, 10 Prozent in der Unterschicht). „Die Umfragewerte belegen die Vermutung, wonach die personelle Einkommensverteilung seit Beginn des neuen Millenniums nicht nur tatsächlich ungleichmäßiger geworden ist, sondern dass dies auch von den verschiedenen Einkommensklassen als Verschlechterung der vormaligen Situation empfunden wird“
- 66 Prozent aller Befragten wollen mehr Umverteilung der Einkommen, 12 Prozent weniger und 4 Prozent sehen den Grad an Umverteilung als genau richtig an.
- Die Menschen wollen mehr Umverteilung, empfinden aber die Summe der Steuern und Abgaben als zu hoch.
- Der Wunsch nach mehr Umerteilung korreliert mit der Parteienähe: „Der Wunsch nach mehr Umverteilung sinkt von den Anhängern der Linken (79 Prozent) über die SPD (71 Prozent), zu den Grünen (68 Prozent), der CDU/CSU (62 Prozent) bis hinunter zur FDP (49 Prozent).“
- In allen Einkommensgruppen nimmt die „große Sorge“ um die eigene wirtschaftliche Situation seit 1990 zu.