Zwei Ziele, kein Weg: Die Schuldenkrise und der Ökonomenstreit

Da haben sich die deutschen Ökonomen was eingebrockt. Mit ihren offenen BriefenAppellenGegen-Aufrufen. Dabei werden sie es gut gemeint haben. Weil die Politik nicht nur den Eindruck erweckt, als wisse sie nicht mehr, wie der Schuldenkrise in Europa beizukommen sei. Sie wollten erklären, warnen, Auswege aufzeigen.

Jetzt ist das Bild der deutschen Ökonomen in der Öffentlichkeit das Gleiche, wie das der deutschen Politiker. Weil alle was sagten und viele widersprachen, entstand der Eindruck, dass die Ökonomen auch nicht schlauer sind. Vor allem das Feuilleton freut sich, dem ja die Ökonomik mit ihrer Nutzenmaximierung schon immer suspekt war.

Dabei sind die Differenzen im Kern weit weniger groß als  sie scheinen. Richtig ist, dass unter den Ökonomen wenig Konsens über das Ausmaß möglicher Maßnahmen herrscht, etwa eines Schuldenschnitts oder Euro-Austritts Griechenlands. Das liegt in der Natur der Sache. Die Zukunft war eben schon immer ungewiss.

Mehr Klarheit gibt es in der Frage, wie ganz grundsätzlich eine funktionierende europäische Gesellschaft aussehen sollte. Dass Zusammenleben dauerhaft nur dann funktioniert, wenn ein grundlegendes Prinzip erfüllt ist, dass nämlich jeder die Konsequenzen seines Handelns selbst zu tragen hat. Im Guten wie im Schlechten. Wer in seine Bildung investiert, soll die Früchte seiner Arbeit ernten dürfen. Wer einen Menschen verletzt, wird bestraft.

Eine Gesellschaft, die Eigenverantwortung fördert und nicht bestraft, schafft das wesentliche Fundament gelingenden Zusammenlebens: nämlich Gerechtigkeit.

Und Wohlstand. Denn nur wer sicher sein kann, dass seine heutige Investition die Chance eines späteren Gewinns birgt, wird investieren. Wenn Bildung nichts bringt, wenn der Ehrliche der Dumme ist, wenn dem Investor die Gewinne abgenommen werden, dann wird am Ende keiner investieren. Und ohne Investitionen kein Wohlstand.

Risiko und Haftung” heißt das Prinzip der Eigenverantwortung auf ökonomischer Ebene. Wo Risiko und Haftung nicht in einer Person oder Institution zusammenfallen, geht auch das wirtschaftliche Zusammenleben schief. Ein Beispiel ist die Bankenkrise. Weil die großen Finanzinstitute darauf hoffen können, dass Ihnen im Falle von Verlusten geholfen wird (Stichwort “systemisches Risiko”), riskieren sie zu viel.

Denn wer viel riskiert, hat sowohl die Chance viel zu gewinnen als auch viel zu verlieren. Wer aber die Verluste anderen (dem Steuerzahler) aufladen, aber die (durch hohes Risiko erzielten) Gewinne selbst einstreichen kann, der wird eben tendenziell übermäßig viel riskieren. Die Folge: Ändern sich plötzlich Fundamentaldaten, kommt es zur Katastrophe, weil viele (riskante) Geschäftsmodelle zusammenbrechen.

Das Auseinanderfallen von Risiko und Haftung gibt es auch auf Staatsebene. Regierungen verschulden sich um so lieber, je größer ihre Hoffnung ist, dass die Schulden nicht von ihren Steurzahlern (Wählern) zurückgezahlt werden müssen, sondern von jenen (Ausland), die diese Politiker gar nicht wählen können. Politiker werden dann von den  negativen Konsequenzen ihres Tuns nicht getroffen.

Deswegen wurde bei der Euro-Einführung beschlossen, dass sich die Staaten gegenseitig nicht helfen dürfen (No-Bail-out). Nicht, weil man nicht solidarisch sein wollte. Sondern weil man wusste, dass wenn Risiko und Haftung auseinander fallen, dass dann auch die Gesellschaft auseinander bricht.

Ökonomen kennen die Zusammenhänge. Sie plädieren in der aktuellen Krise dafür, Risiko und Haftung wieder zusammen zu bringen. Weil dies aber auf zwei gänzlich unterschiedlichen Wegen möglich ist, entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, als wären sich die Ökonomen nicht einig. Im ordnungspolitischen Prinzip sind sie dies aber. Lediglich die Wege, dieses Prinzip durchzusetzen, sind gegensätzlich.

Die einen möchten zurück zum No-Bail-out. Jeder Staat soll selbstverantwortlich handeln. Die Wähler wählen ihre Politiker, die in ihren Parlamenten darüber entscheiden, wie viel Geld von Menschen genommen und für was es ausgegeben wird. Gibt der Staat mehr aus als er einnimmt, muss er Geldgeber finden und die Konditionen verhandeln. Finden sich Gläubiger, tragen diese das Risiko, ihr geliehenes Geld nicht mehr zurück zu bekommen.

Der zweite Weg: mehr europäische Integration. Risiko und Haftung kämen in diesem System dadurch zusammen, dass sich verschuldete Staaten zwar von anderen Staaten Geld leihen können, dass die Geldgeber aber über die europäische Ebene politische Eingriffsrechte erhalten, sie also den nationalen Parlamenten vorschreiben könnten, ihre Schulden zurückzuzahlen.

Risiko und Haftung wäre insofern wieder zusammengeführt, dass die Politiker sich der Verantwortung stellen müssten. Sie müssten ihren Wählern höhere Steuern oder niedrigere Staatsausgaben zwecks Schuldentilgung zumuten.

Wie gesagt: Beide Alternativen verfolgen das gleiche Prinzip, sind aber in der Umsetzung konträr. Was die Thematik zusätzlich verkompliziert: Beide Konzepte haben nur bedingte Aussicht auf Erfolg. Jenes der No-Bail-out-Regel ist gerade krachend gescheitert; das der stärkeren Integration klingt unrealistisch. Ist denn vorstellbar, dass sich die französische Nationalversammlung von Brüssel vorschreiben lassen wird, wie hoch sie welche Steuer zu setzen hat und wie viel des eingenommenen Geldes auszugeben ist? Mit anderen Worten: Ist diese europäische Ebene von den Menschen eigentlich gewünscht?

Hinzu kommt: Eine tiefere europäische Integration braucht Jahre der Umsetzung. Nationen müssen befragt, Verfassungen geändert werden. Das löst die aktuelle Krise nicht.

Der Weg zurück zur Verantwortung also ist weder eindeutig, noch einfach. Es ist insofern nicht verwunderlich, dass die Ökonomen verschiedene Ansichten haben. Eines aber  kann man ihnen nicht vorwerfen. Dass sie bei der Entscheidung über die Euro-Einführung unterschiedlicher Meinung gewesen seien. Fast alle Ökonomen hatten damals die Euro-Einführung abgelehnt und prognostiziert, dass es kommen wird, wie es gekommen ist.

Dieses Post ist zuerst auf dem INSM-Blog erschienen.

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