Attentat in Berlin: Die Verantwortung beginnt beim Denken

Haben die deutschen Sicherheitsbehörden vor dem Anschlag in Berlin versagt? (“Klar, sonst wäre der Anschlag ja nicht geschehen!”) Muss das Asylrecht verschärft werden? (“Selbstverständlich, bei einer Verschärfung wäre der Attentäter nicht mehr in Deutschland gewesen!”) Brauchen wir mehr Überwachungsmöglichkeiten? (“Ja, dann wäre der Attentäter besser kontrolliert worden!”)

Die Lösungen für die Probleme der Welt scheinen bisweilen so einfach, wir werden aber von mehr oder weniger großen Dummköpfen regiert, welche diese einleuchtenden Lösungen nicht sehen – wahlweise nicht sehen wollen, weil sie andere Interessen verfolgen. So eine Haltung gegenüber der Politik ist verbreitet, vermutlich weil sie entlastend wirkt, weil sie von Verantwortung befreit. 

Schuld sind stets die anderen. Die Welt ist bei einer solchen Weltsicht voller Dilettanten. Es wird falsch geplant und falsch gehandelt. Verspätungen bei der Deutschen Bahn, Baustellen auf der Autobahn oder eben der Anschlag in Berlin: alles könnte so viel besser sein, wenn nur den simplen wie auf den ersten Blick einleuchtenden Ratschlägen der Besserwisser gefolgt würde. 

Man begegnet solchen Menschen ständig. Beim Bahnfahren, beim Weihnachtsessen in der Verwandtschaft – und in ehrlichen Augenblicken auch in der Reflexion mit sich selbst. Diese Sicht auf die Welt aber hat ihren Preis: Wer bei anderen die Schuld sucht, lebt in Abhängigkeit. In Abhängigkeit derer, welche die Probleme lösen könnten (es aber nicht tun). Eine solche Sichtweise hält den Menschen in der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Wer keine Verantwortung hat, der kann auch nichts ändern. Und wer keine Verantwortung übernimmt, ist immer Kind geblieben. Der ruft nach den Mächtigen (Eltern), anstatt selbst zu versuchen, die Probleme zu lösen.

Man könnte zu Recht einwänden, dass die Verhinderung des Attentats aber gerade nicht die Aufgabe des Einzelnen ist, das Gewaltmonopol liegt bekanntlich aus guten Gründen beim Staat. Schon, aber die Verantwortung beginnt beim Denken. Genauer gesagt, bei der Meinungsbildung. Denn aus vielen Meinungen werden in der Demokratie in letzter Instanz Gesetze. Man könte auch sagen: Nirgendwo hat der Mensch mehr Verantwortung als in der Demokratie.

Den erwachsendsten Zeitungsartikel über die mögliche Verhinderung des Berliner Attentats habe ich in der FAS (25.12.2016) gelesen. Von Markus Wehner. So unaufgeregt wie informativ. Das ist Meinungsbildung im besten Sinne, bei dem nämlich die Bildung der Meinung dem mündigen Bürger überlassen wird.

2 thoughts on “Attentat in Berlin: Die Verantwortung beginnt beim Denken

  1. Nirgendwo hat der Mensch mehr Verantwortung als in der Demokratie.

    Aber er muss die Verantwortung auch real wahrnehmen können. Das kann der Wähler kaum noch, da er kaum noch bis gar nicht mehr feststellen kann, wer verantwortlich ist.

    Sie haben selbst vor kurzem sehr richtig analysiert, dass “schwer durchschaubare Verantwortlichkeiten” das Grundproblem darstellen. Die Institutionen in vielen Demokratien sind mittlerweile so vertrackt ineinander verwoben, dass alle etablierten Parteien nahezu gleichzeitig regieren, in Deutschland regiert über den Bundesrat zum Beispiel Schwarz-Rot-Grün. Durch diese Intransparenz kann man immer schwieriger feststellen, wer nun eigentlich verantwortlich ist.

    Es gibt zudem kaum mehr Politiker, die von sich aus Verantwortung für etwas übernehmen wollen und zugeben: “Es stimmt, es wurden falsche Entscheidungen getroffen, es tut mir leid, ich übernehme dafür die volle politische Verantwortung.”

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  2. Man könte auch sagen: Nirgendwo hat der Mensch mehr Verantwortung als in der Demokratie.

    Als Ideal. Praktisch nein, denn es gibt keine direkte Verbindung zwischen dem Handeln des Wählers und den daraus entstehenden Folgen. Auch die indirekten werden immer weniger: Wer heute eine Partei wählt, muss damit rechnen, dass sie morgen als Regierung das Gegenteil von dem tut, was sie gerade fordert.

    Der Einzelne aber hat es auf jeden Fall nicht in der Hand. Da kann er noch so verantwortungsvoll als Demokrat durchs Leben schreiten – entscheidend ist nicht, was er, sondern was die Masse von Millionen anderen Menschen wählt. Und was die kleine Schar der Profi-Demokraten dann daraus macht. Und die könnten dann den größten Unsinn beschließen, wenn sie wollen. Sie sind ja demokratisch dazu legitimiert.

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