Je mehr Waffen, desto mehr Tote?

Auf dem Blog “Überschaubare Relevanz” wird die in meinem gestrigen Post verlinkte Grafik des Magazins Stern aus statistischer Perspektive als ziemlicher Blödsinn bezeichnet.

Die Grafik zeigt für ausgewählte Staaten die Zahl der im Land befindlichen Waffen sowie die Zahl der Tötungsdelikte pro eine Million Einwohner.

Sie diente mir als Veranschaulichung des Zusammenhangs, dass es in Ländern mit vielen Waffen zu vielen Tötungsdelikten mit Waffen kommt. Aber ganz so einfach ist es nicht.

Zunächst einmal: Ohne von Statistik allzu viel zu verstehen, kann ich die Kritik nachvollziehen. Auch weil in der Stern-Grafik eine absolute Zahl (Waffen) mit einer relativen Zahl (Tötungsdelikte pro eine Million Einwohner) in Zusammenhang gestellt wird. Zumindest hätte man die Zahl der Waffen auch in Relation zur Bevölkerungszahl des jeweiligen Landes stellen müssen.

Eine Antwort auf die spannende Frage über Ausmaß des Zusammenhangs von Waffenzahl zu Tötungsdelikten mit Waffen in einem Land gibt der Post auf “Überschaubare Relevanz” nicht, will er auch gar nicht:

“Heißt das, dass privater Waffenbesitz kein Problem ist und überall unbegrenzt legal sein sollte? Nee, das heißt es nicht. Es heißt gar nichts, abgesehen davon, dass beim Stern offenbar niemand mit auch nur dem grundlegendsten Verständnis von Statistik noch mal über solche Sachen drüber guckt.”

Dass dieser Zusammenhang zumindest nicht monokausal ist, zeigt der Wikipedia-Artikel “Waffenmissbrauch“.

Dort steht zwar, dass die Zahl der Tötungsdelikte mit Schusswaffen je 100.000 Einwohner in den USA (3,45) deutlich höher ist als etwa im Nachbarland Kanada (0,54) oder gar in Deutschland (0,19). Wer die Begründung ausschließlich in der Zahl der Waffen sucht, wird aber in der gleichen Tabelle widerlegt (siehe Tabelle unten; zum Vergrößern klicken). Dort ist nämlich auch die Zahl der Tötungsdelikte mit Schusswaffen je 100.000 Waffen (rechte Spalte) auflistet. So gibt es beispielsweise in Südafrika 302 Tötungsdelikte mit Schusswaffen je 100.000 Waffen, in den USA sind es dagegen “nur” 4.

http://de.wikipedia.org/wiki/Waffenmissbrauch

Wäre der Zusammenhang monokausal, müssten die Zahlen für die unterschiedlichen Länder ähnlich sein.

Nochmals der Wikipedia-Artikel:

“Aber auch die einzelnen Regionen und ihre Staaten sind nicht homogen: Eine häufige Folge der weiten Verbreitung von Schusswaffen in den USA ist, dass auch alltägliche Konflikte zwischen an sich integrierten Bürgern überproportional tödlich enden. Die Gegenüberstellung der Regierungshauptstadt Washington (Häufigkeitszahl 42,9) mit den in sich wieder sehr unterschiedlichen Millionenstädten San Francisco im Westen einerseits (HZ 8,1) und New York City im Osten andererseits (HZ 8,7) macht jedoch augenfällig, dass der Waffenbesitz nur einer unter mehreren Faktoren von Tötungsdelikten sein kann. Auch der Vergleich zwischen der relativ kleinen Landeshauptstadt Bern und der Millionenmetropole Tokyo führt mit Häufigkeitszahlen von 1,0 bzw. 1,2 zu keinen nennenswerten Unterschieden. Demgegenüber steht Amsterdam mit einer HZ von 3,1. Dies kann man als Beleg dafür sehen, wie sehr der Kontext eines Staates und der darin lebenden Bevölkerung, ggf. auch deren ethnischer Zusammensetzung oder Mischung und den damit verbundenen kulturellen und sonstigen Traditionen, in Betracht gezogen werden sollte, bevor man Schlussfolgerungen zieht.”

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6 thoughts on “Je mehr Waffen, desto mehr Tote?

  1. Und noch etwas muss ich hinzufuegen:

    Kriminelle halten sich in der Regel nicht an Gesetze.

    Wer einen Mord begehen will scheut sich nicht davor eine illegale Waffe zu erwerben von der ca. zwei bis drei Mal so viele in D gibt wie illegale und die den Vorteil haben, dass sie nicht mit dem Moerder in Verbindung gebracht werden koennen.

    Nach einem kompletten Waffenverbot in GB hat sich die Kriminalitatesstatistik fuer Straftaten die mit Waffen begangen wurden nicht signifikant veraendert (sie ist leicht gestiegen).

    Illegale Waffen werden aber nicht von Gesetzen erfasst.

    Es sind zwar einfach erworbene Sympathiepunkte wenn Politiker nach medienwirskamem Mord mit Schusswaffen nach einer Verschaerfung des Waffenrechts schreien. Aber es ist Unfug und hilft rein gar nichts in der Sache.

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  2. Die Stern Statistik sagt fuehrt in die Irre. Es gibt sehr viel mehr Totschlag als Mord. Und wiederum noch viel mehr Toetung auf Verlangen und fahrlaessige Toetung. In der Statistik wird unter “Toetungsdelikte” alles zusammengeworfen. Es ist auch nicht klar ob evtl. sogar Selbstmord mit enthalten ist.

    Ich finde folgende Tatsache sagt mehr aus: Fuer Mord und Totschlag ist toetungsinstrument Nr. 1: Die Faust Nr.2 das Messer Nr.3 Eine Unterkategorie der Messer: das Kuechenmesser…

    Desweiteren muss man sich die Delikte mit Schusswaffen ansehen und stellt dort fest, dass legal erworbene Schusswaffen keine Relevanz spielen.

    Der Hauptunterschied zwischen Staaten wie Deutschland und den USA ist also mehr das Waffengesetz. Waherend in D alle Waffen registriert werden und nur fuer sorgfaeltig ueberpruefte Personen erwerbbar sind, kann gibt es kein einheitliches Waffenrecht in den USA. In vielen ihrer Bundesstaaten ist der Erwerb und die Kontrolle zu einfach. Das ist aber nicht auf D zu uebertragen.

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  3. Was man auch noch betrachten müßte, ist die Strenge der jeweiligen Waffengesetze sowie auch die Struktur der jeweiligen Kriminalität im jeweiligen Land. In den USA kommt noch die höchst unterschiedliche Situation je nach Bundesstaat dazu.

    Schätze, am Ende hat der Faktor “Waffen pro Einwohner” eine äußerst geringe Erklärungskraft. Aber weil er so schön plakativ ist, stürzen sich natürlich alle gern darauf. Wie bei den bösen Gewalt-Computerspielen.

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  4. @Muriel: Die Sterngrafik war zwar nur der Einstieg für den Post und dennoch nicht ganz unwesentlich für die folgende Argumentation. Da ging es nämlich darum, mit der Public-Choice-Theorie zu erklären, warum dass Ziel “weniger Tötungsdelikte” in einer Demokratie nicht einfach durchsetzbar ist, selbst wenn die Mehrheit das wünscht. Wenn der Weg dahin (“weniger Tote”) aber komplexer ist, als nur die Zahl der Waffen zu reduzieren, dann ist das Problem vielleicht auch nicht nur eine gute organisierte Lobbygruppe.
    btw: Gerne “Du”. :-)

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    1. Ich hatte den Artikel bei dir gelesen, deshalb ist mir das durchaus aufgefallen. Die Public-Choice-Theorie, wie du sie erklärt hast, ergibt ja gewissermaßen auch Sinn, aber wie du auch schreibst, scheint dieses Beispiel dafür nicht so perfekt zu passen.
      Danke auf jeden Fall für die Antwort. Ich freue mich ja auch über die Bestätigung, dass meine Einwände auch für andere Sinn ergeben und nicht nur meiner eigenen Querulanz zuzuschreiben sind.

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  5. Na, dann bin ich ja froh, dass ich in meinem Post nicht auch noch über dich hergezogen bin. Ich war nämlich in Versuchung, aber dann dachte ich, na, du kannst ja nichts für die Sterngrafik, und wenn mans genau nimmt, hast du sie nur am Rande erwähnt. (Oder sollte ich Sie sagen? Die Blog-Etikette scheint da gerade im Wandel begriffen.)

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