Das Internet macht nicht einsam

Sie sitzen alleine in Kneipen oder hocken stumm in ihren Jugendzimmern. Der Mensch vor Tastatur und Monitor vermittelt ein tendenziöses Bild: Wer am Computer sitzt, ist alleine, möglicherweise einsam.

Dieser Eindruck verführt zu der Annahme, dass, wer viel Zeit am Computer, wenig mit Menschen verbringt, dass das Internet also asozial macht.

Diese Annahme ist falsch. Das wurde weltweit schon mehrfach belegt. Eine Untersuchung für Deutschland hat nun Professor Ludger Wößmann vom Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo vorgelegt. Wößmann hat dazu die Daten von 18.000 Erwachsenen und 2.500 Kindern aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) herangezogen, der größten repräsentativen, regelmäßigen Befragung in Deutschland.

Der Ifo-Wissenschaftler ist zusammen mit zwei Kollegen folgender Frage nachgegangen: Wie sehr beteiligen sich Menschen, die zu Hause einen schnellen Internetanschluss (DSL) haben, am öffentlichen Leben? Und zwar im Vergleich zu jenen, die nur über langsames oder kein Internet verfügen. Wie oft treffen sich die Bewohner von DSL-Haushalten mit Freunden? Wie oft gehen sie ins Kino, ins Theater, in Ausstellungen? Wie stark ist ihr politisches oder ehrenamtliches Engagement? Ergebnis der Untersuchung: In allen Bereichen des realen Lebens sind Menschen mit schnellem Internetanschluss aktiver.

Einwand 1: Vielleicht entsteht der Zusammenhang aus einem anderen Grund. Vielleicht ist es das Einkommen. Weil Menschen, die viel verdienen, eben häufiger ins Kino oder ins Restaurant gehen, weil sie es sich eben leisten können, wie den schnelleren und teureren Internetanschluss. Der Statistiker Wößmann entgegnet bei der Vorstellung der Studie in Berlin: „Die breite Datenbasis des Sozio-oekonomischen Panels hat es uns ermöglicht, solche Effekte zuverlässig auszuschließen.“

Einwand 2: Ein Zusammenhang sagt noch nichts über die Kausalität. Leisten sich Menschen, die etwa politisch aktiv sind, einen schnellen Internetanschluss, um sich besser informieren und austauschen zu können? Oder machen umgekehrt die Möglichkeiten, die sich aus dem schnellen Internet ergeben, politisch aktiver? Nur die Bejahung der letzteren Frage stützt die These, dass das Internet Aktivitäten im realen Leben fördert.

Zur Überprüfung der Kausalität kam den Forschern aus München ein Umstand zur Hilfe, der für die Deutsche Telekom eher ein Drama ist. Die hatte nämlich nach der Wende 1990 in der ehemaligen DDR reihenweise ein hochmodernes Telefonnetz (OPAL-Technologie) verlegt, das allerdings einen entscheidenden Nachteil hat: Es kann kein DSL, die Technik des schnellen Internets. „Wir haben dieses ‚natürliche Experiment’ genutzt“, so Wößmann, „und diese Regionen mit DSL-fähigen Gebieten verglichen.“ Die Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel belegten, dass in den Gebieten ohne DSL-Anschluss die realen Aktivitäten niedriger seien, so Wößmann, und zwar bereinigt um andere mögliche Einflüsse.

Eine Erklärung: Mit Hilfe des Internets ist es einfacher, den Kontakt mit anderen Menschen aufrechtzuerhalten und sich etwa in der realen Welt zu verabreden. Wößmann: „Offensichtlich dominiert die Informations- und Kommunikationsfunktion des Internets seine passive Unterhaltungsfunktion.“ Diese Erkenntnis gelte im Übrigen für Erwachsene ebenso wie für Kinder.

Der Harvard-Professor Robert Putnam hat vor zehn Jahren das Aufsehen erregende Buch „Bowling alone“ veröffentlicht. Darin belegt der Soziologe und Politikwissenschaftler mittels empirischer Untersuchungen, wie das Fernsehen die Menschen dazu bringt, sich zunehmend weniger am sozialen Leben zu beteiligen. Damals sagte Putnam: „Wir sind zunehmend entkoppelt von Familie, Freunden, Nachbarn und unseren demokratischen Strukturen.“ Das Internet bricht diesen Trend, kehrt ihn womöglich um. Fernseher und Computer sind nur auf den ersten Blick ähnliche Medien.

  • Studie: Stefan Bauernschuster, Oliver Falck und Ludger Wößmann: Surfing alone? The Internet and Social Capital: Evidence from an Unforseeable Technological Mistake. CESifo Working Paper 3469, Mai 2011

Die Studie ist aktuell online noch nicht verfügbar, sollte sich aber bald ändern und ist dann unter diesem Link zu finden.

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