Der Mundschenk des Pharaos hatte ihn zurück in die Freiheit gebracht. Er, Josef, war zwei Jahre zuvor zusammen mit dem Mundschenk und einem Bäcker des Pharaos im Gefängnis gesessen. Der Mundschenk und der Bäcker hatten dort seltsame Träume gehabt. Josef deutete die Träume. Der Mundschenk komme wieder zu Gnaden, der Bäcker aber an den Galgen, prophezeite er. Und so kam es auch.
In Freiheit erinnerte sich der Mundschenk an den Deuter Josef. Sein Pharao hatte ebenfalls seltsam geträumt. Von fetten Kühen, die von mageren aufgefressen werden und von schönen, prallen Ähren, die von sieben dürren umschlungen werden. Der Pharao hatte alle Wahrsager des Landes zusammen kommen lassen, aber keiner konnte den Traum interpretieren.
Da erzählte der Mundschenk seinem Herrn von dem Erlebnis im Gefängnis und der Pharao ließ Josef holen. Und Josef deutete:
„Siehe, sieben reiche Jahre werden kommen in ganz Ägyptenland. Und nach ihnen werden sieben Jahre des Hungers kommen, so dass man vergessen wird alle Fülle in Ägyptenland. Und der Hunger wird das Land verzehren, dass man nichts wissen wird von der Fülle im Lande vor der Hungersnot, die danach kommt; denn sie wird sehr schwer sein.“
Aber Josef ließ es nicht bei der Deutung. Er bot auch eine Lösung an:
„Nun sehe der Pharao nach einem verständigen und weisen Mann, den er über Ägyptenland setze, und sorge dafür, dass er {der Pharao} Amtleute verordne im Lande und {er, der Pharao} nehme den Fünften {Anteil der Ernte} in Ägyptenland in den sieben reichen Jahren und lasse sie sammeln den ganzen Ertrag der guten Jahre, die kommen werden, dass sie Getreide aufschütten in des Pharao Kornhäusern zum Vorrat in den Städten und es verwahren, damit für Nahrung gesorgt sei für das Land in den sieben Jahren des Hungers, die über Ägyptenland kommen werden, und das Land nicht vor Hunger verderbe.“
Die mündliche Job-Bewerbung Josefs nahm der Pharao dankend und erhob ihn zum staatlichen Verwalter.
Das erste Buch Moses im Alten Testament erzählt die Geschichte vom wundersamen Aufstieg Josefs vom Sklaven zum zweiten Mann in Ägypten. Es ist aber auch die Geschichte einer gigantischen Spekulation. Sieben Jahre lang ließ Josef Vorräte horten, in dem Glauben, dass sie ab dem achten Jahr dringend benötigt werden. Josef, der Spekulant, rettete ein ganzes Volk vor dem Hungertot. Und vermutlich verdiente er sich – freilich schweigt sich darüber die Bibel aus – zusammen mit dem Pharao eine goldene Nase.
Der Spekulant als Lebensretter? Spekulanten profitieren vom Unglück anderer (Hungersnot), sie sind Parasiten, weil sie keine keine eigenen Werte schaffen, sondern sich an der Arbeit (Ernte) anderer bereichern, sie treiben die Preise nach oben und gelten deshalb als Krisenverschärfer und -profiteure. Gerät ihr Nachbar in Not, schließen sie wetten auf ihren Untergang ab, anstatt ihm zu helfen. Der Spekulant ist ein Egoist, der der Gesellschaft schadet.
Was sind Spekulanten? Lebensretter oder Wohlstandsvernichter?
Zunächst: Die Arbeit des Spekulanten ist eigentlich ganz simpel. Er kauft etwas, wenn er glaubt, dass es billig ist, und verkauft es, wenn er glaubt, dass es teuer ist. Die Differenz ist sei Einkommen (oder Verlust). Er handelt zu seinem Nutzen. Was aber sind die Auswirkungen auf die Gesellschaft?
Spekulationen sind grundsätzlich hilfreich. Dieser Überzeugung war der Wirtschaftsnobelpreisträger und amerikanische Liberale Milton Friedman. Im Kern ist seine Argumentation einfach.
Ein Beispiel: Der Wert eines Unternehmens A liegt nach Ansicht kundiger Marktteilnehmer bei 100 Euro. Aufgrund von Spekulationen unkundiger Anleger steigt der Börsenwert auf 110 Euro. Die kundigen Spekulanten erkennen diese Überbewertung, wittern ein Geschäft und verkaufen ihre Aktien, wodurch sich der Aktienkurs wieder dem tatsächlichen Wert nähert.
Spekulanten, so Friedmans Überzeugung, tragen zur Glättung von Kursbewegungen bei. Sie stabilisieren die Wirtschaft. Nicht nur durch den Handel mit Aktien. Auch durch Geschäfte mit Gütern.
Ein Spekulant etwa, der eine Hungersnot prognostiziert, wird frühzeitig Getreide aufkaufen. Als Folge seiner Nachfrage wird der Preis steigen. Dann aber, wenn die Hungersnot eintritt, die Not am größten ist und deshalb auch der Preis am höchsten, wird der Spekulant sein Getreide verkaufen und damit den Preis senken.
Die Realität aber hält sich nicht immer an Friedmans Theorie von den sich glättenden Preisen. Sie wurde deshalb um diverse Theorien zur Blasen-Bildung erweitert. Um im Beispiel zu bleiben: Nicht jeder kundige Spekulant verkauft seine Aktien bei 110 Euro, zumindest dann nicht, wenn er vermutete, dass der Kurs durch schlecht informierte Anleger weiter steigen wird. Der Spekulant versucht auf der Welle mitzureiten und hofft abspringen zu können, bevor der Absturz kommt. Weil viele so denken, bauen sich Aktienkurse regelmäßig auf, bevor sie abrupt einbrechen.
Es klingt absurd, aber es ist so: Auf der einen Seite korrigieren Spekulanten Übertreibungen, auf der anderen Seite befeuern sie diese Übertreibungen und produzieren selbst Blasen.
Aber Spekulanten beeinflussen nicht nur Kurse. Ihre Wetten auf die Zukunft können für all jene hilfreich sein, denen die Unsicherheit ihre Existenz kosten kann. Gegen eine angemessene Rendite-Erwartung kaufen Spekulanten Risiken ab, die andere nicht schultern wollen. Solche Geschäfte nennt man Hedging. Landwirte sichern sich damit ihre Zukunft. Sie können bereits im Frühjahr ihre Weizenernte über so genannte Terminbörsen verkaufen. Das schafft Planungssicherheit. Sie wissen somit genau, welchen Preis sie im Herbst für ihre Ernte erhalten werden.
Der Spekulant übernimmt das Risiko, dass der Weizenpreis im Herbst im Keller sein wird, er erhält aber auch die Chance, dass der Preis im Herbst höher sein wird, als was er dem Landwirt zahlen muss.
Was aber ist mit den Spekulationen auf Firmenpleiten? Sogar ganze Staaten sollen von Spekulanten in den bankrott getrieben worden sein (siehe auch „Kann ein Land bankrott gehen?“). Vernichten Spekulanten mit solchen Untergängen nicht Milliarden?
„Niemand soll den Spiegel für seine hässliche Fratze verantwortlich machen“, antworten die Spekulationsfreunde. Spekulanten machen nur offensichtlich, was ohnehin faul ist. Und da sie davon leben, dass sie die Zukunft vorhersagen, decken sie Fehler früher als andere auf.
Und sie schauen genauer hin. Denn es ist ihr Geld, das auf dem Spiel steht. Die Europäische Statistikbehörde hat es lange nicht so genau genommen mit den Buchungsmethoden des griechischen Staates. Die Spekulanten haben dies gesehen und darauf gewettet, dass diese Tricks auf Dauer nicht gut gehen werden.
Spekulanten sind Zocker, die Gerechtigkeit in die Welt der Lügen bringen! Wer auf sie schaut, hat die Möglichkeit zu reagieren. Mit etwas Glück ist es dann noch nicht zu spät.
Nach dem Anschlägen am 11. September 2001 gab es Überlegungen, Spekulationen auf Terrorattacken zuzulassen. Verdienen sollte, wer Ort und Ziel des nächsten Angriffs möglichst genau vorhersagt.
Auf einem solchen Handelsplatz über das Wissen von Terroranschlägen wären Millionen von Informationen zusammengelaufen. Denn Wissen begibt sich dorthin, wo sich mit ihm Geld verdienen lässt. Man hat diese Überlegungen als unmoralisch verworfen. Man hat damit aber auch eine Chance verworfen, zukünftige Terroranschläge zu verhindern.
Das Verbot der Spekulation verhindert, zukünftige Gefahren heute zu entschärfen. Josefs Hortung von Getreide über sieben Jahre ist der biblische Beleg für eine solche Gefahrenabwendung. Der Vorwurf, Josef sei auch ein Scharlatan gewesen, hat die Wissenschaft übrigens widerlegt. Die Traumdeutung Josefs war keine frei erfundene Interpretation. Die Hochwasser des Nils waren für die Landwirtschaft Ägyptens lebenswichtig. Die sieben fetten und sieben mageren Jahre, die den Ägyptern damals zu schaffen machten, seien womöglich auf die so genannte Nordatlantische Oszillation zurückzuführen, schreibt der Forscher Dmitri Kondrashov von Universität von Los Angeles in einer Forschungsarbeit. Diese im Rhythmus von sieben Jahren wiederkehrende Klimaveränderung beeinflusste den Wasserstand des Nils.
Man muss sich Josef, den Spekulanten, als sehr schlauen und weisen Menschen vorstellen.
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