Mehr Markt geht nicht: Eine Schule im linken Kreuzberg zeigt wie Bildung in Freiheit funktioniert

Bildung in Freiheit, gänzlich ohne staatliche Finanzierung, so was gibt es in Deutschland. Schon seit über 40 Jahren. Es ist die so genannte “Schule für Erwachsenenbildung”, kurz SFE, in einem Hinterhof im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Dort können Schüler in drei Jahren ihr Abitur machen. Schüler, die an staatlichen Schulen gescheitert sind. 50.000 geht das Jahr für Jahr so. 

Die SFE ist selbstverwaltet. Jeder hat das gleiche Stimmrecht. Schüler wie Lehrer. Finanziert wird die Schule ausschließlich mit Schulgeld, 160 Euro pro Schüler und Monat. Das reicht gerade für 12,50 Euro pro Stunde für jeden Lehrer. Aber weil kein Dritter reinredet, ist es eine Schule, welche zuallererst die Interessen der Schüler im Blick hat. Es gibt keine Anwesenheitspflicht, wer einen Hund hat, bringt ihn mit in den Unterricht und bei schönem Wetter wird der Unterricht in die Gartenlaube des Deutschlehrers verlegt. 

Die Folge der Mitbestimmung ist nicht das Paradies, sondern ein Leben in Selbstverantwortung. Das unterscheidet die Schule im Kern von den meisten anderen. Sie lehrt, ob ihrer Struktur, dass wer sein Leben in die Hand nimmt, seine Ziele erreichen kann. Der ehemalige SFE-Schüler Alexander Kleider hat mit Berlin Rebel High School einen wundervollen Film über seine ehemalige Schule gedreht.

Der Süddeutschen Zeitung hat Kleider ein Interview gegeben, in dem er das staatliche Schulsystem massiv angreift. Ein Vorwurf: Das Schulsystem sei wegen des “neoliberalen Zeitgeistes” unfähig, sich zu ändern. Vielleicht ist dies der Kern, weshalb es noch immer keine breite gesellschaftliche Debatte über die Veränderung unseres Schulsystems gibt: Alle leiden, aber keiner weiß warum. So wird nur über Symptome diskutiert. Über Bildungsinhalte und Schulzweige. An die Strukturen will keiner ran, weil sie kaum einer versteht. Und die sie verstehen, wollen sie nicht ändern, weil sie in der Mehrzahl profitieren. Monopolisten leben bisweilen gut. Sie müssen sich nicht ändern. Weil Konkurrenz fehlt. Weil die Kunden nicht abwandern können. 

Das Schulsystem ist ein staatliches Monopol. Das ist mal so ziemlich genau das Gegenteil von Neoliberalismus. Vielfalt? Fehlanzeige. Wettbewerb um das beste Schulsystem? Nope. Strukturelle Anreize, sich um die Schüler zu bemühen? Warum? Sie haben ja nichts zu entscheiden. Nur die Verpflichtung zu erscheinen. Kein Schulgeld, das darüber entscheidet, welche Schule überlebt. Der Schüler ist kein Kunde, sondern ein Verwaltungsakt. Und das Geld kommt vom Staat. 

Keiner in der SFE würde vermutlich die dortigen Schüler als Kunden beschreiben. Und doch sind sie es. Im besten Sinne. Man kümmert sich um sie. Weil man sonst keine Schüler mehr hätte. Kleiders Schule ist die neoliberalste Schule in ganz Deutschland. Nachfrage und Angebot bestimmen das Produkt. Die Nachfrager sind sogar Mitgesellschafter. Kein Staat. Keine Einflussnahme von dritten. Marktwirtschaft pur. Das Ergebnis ist wundervoll. 

2 thoughts on “Mehr Markt geht nicht: Eine Schule im linken Kreuzberg zeigt wie Bildung in Freiheit funktioniert

  1. Die Reichen und Durchsetzungsfähigen benötigen keine schützenden und helfenden Strukturen.

    Der Bezug auf die “Reichen” kommt hier etwas unvermittelt und zusammenhanglos, wenn zu den Merkmalen der Schulgründer doch gehörte, dass sie wussten, was sie wollten und engagiert waren. Beides, zu wissen, was man will und engagiert zu sein, ist auch nichts, dessen Abwesenheit in einer Person ich als besonders schutzbedürftig erachten würde. Wer ohne Ziel in den Tag hinein lebt und es an Einsatz missen lässt, scheitert zurecht und sollte mit den Folgen allein fertig werden. Schließlich handelt es sich hier nicht um besondere “Kompetenzen”, sondern um eine reine Frage von Wollen und Disziplin. Das muss einem keiner beibringen, das kann man jederzeit aus sich selbst heraus leisten.

    Mal ganz abgesehen davon, dass die “starken sozialen Strukturen”, so sie denn weniger als Ergebnis menschlichen Handelns denn als Ergebnis menschlicher Absicht entstehen, auch ihre Gewinner und Verlierer produzieren – üblicherweise auf allgemein niedrigerem Niveau.

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  2. Es mag stimmen dass Selbstverwaltung etwa von Neoliberal hat. Der radikale Liberalismus und der Anarchismus haben ja einige Gemeinsamkeiten. Da meine damalige Freundin an der Schulgründung aktiv beteiligt war, habe ich seinerzeit mitbekommen, wer dabei mitwirkte und was es anschließend bedeutete dort das Abi nachzumachen. Alle diese Leute wussten was sie wollten und waren engagiert. Wer diese Kompetenzen nicht hat, ist im Neoliberalismus verloren. Hier sind starke soziale Strukturen vonnöten.
    Die Reichen und Durchsetzungsfähigen benötigen keine schützenden und helfenden Strukturen.

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