Von wegen Bio-Boom! Öko-Lebensmittel führen noch immer ein Nischendasein, doch das wird nicht so bleiben

Der Eintritt in den Öko-Markt des Vertrauens kostet 17,90 Euro. Das ist der Mitgliedsbeitrag, der monatlich an die „LPG Biomarkt GmbH“ in Berlin zu überweisen ist. Wer ihn bezahlt, darf in Europas größtem Bio-Markt günstig einkaufen. Denn an allen 18.000 Artikeln des Marktes, die auf einer Fläche groß wie zwei Handballfelder angeboten werden, kleben zwei Preise: der „Normalpreis“ und der rund 20 Prozent günstigere „Mitgliedspreis“.

Bezahlen um Bezahlen zu dürfen – so lautet das unausgesprochene Konzept des LPG Biomarktes im Berliner Statdtteil Prenzlauer Berg. Sieben von zehn Kunden, die dort einkaufen, besitzen den LPG-Mitgliedsausweis.

Vielleicht kann dieses Konzept nur hier funktionieren. Zwei Drittel der Prenzlauer-Berg-Bewohner sind erst nach der Wende zugezogen; sie leben in frisch sanierten Altbauhäusern, die sie sich leisten können, weil sie (zumindest für Berliner Verhältnisse) zu den Besserverdienenden gehören; außerdem hat der Bezirk die höchste Geburtenrate der Hauptstadt – die perfekte Zielgruppe für ein Geschäft mit gesunden, teuren Lebensmitteln.

20 bis 30 Prozent mehr kosten Bio-Artikel im Vergleich zu konventionellen Produkten. Und es wird nicht zuletzt an diesem Preisunterschied liegen, warum wir zwar in den Medien häufig vom Bio-Boom lesen und hören, in Wirklichkeit diese Branche aber noch immer ein Nischendasein fristet.

Die Diskrepanz ergibt sich aus der Verwendung zweier unterschiedlicher Zahlen, einer relativen und einer absoluten: der Wachstumsrate und der Basis dieser Wachstumsrate. Ist die Basis gering, ändern auch hohe Wachstumsraten (zunächst) wenig. So ist die Bio-Branche in der Vergangenheit zwar um bis zu 30 Prozent pro Jahr gewachsen. Dennoch beträgt ihr Anteil an allen Lebensmitteln heute gerade einmal vier Prozent.

Dabei wird es nicht bleiben. Die Unternehmensberatung Ernst & Young schätzt, dass der Marktanteil für Bio-Produkte bis zum Jahr 2020 auf 30 Prozent steigen wird. Und auch das wird vermutlich nicht die Obergrenze bleiben.

Weil es sich mit den Bio-Produkten wie mit dem Airbag verhalten wird: Früher war er was besonderes, heute wird kein Auto mehr ohne ihn verkauft. Was von Vorteil ist, setzt sich durch. Auch Bio-Produkte werden zum Standard werden.

Aus drei Gründen:

  1. Wir können uns hohe Qualität leisten. Nur nur noch knapp 13 Prozent unserer Konsumausgaben verwenden wir für Essen und Trinken (einschließlich alkoholischer Getränke). 1990 waren es noch 18, 1970 über 25 Prozent gewesen (Link zur Zeitreihe des Statistischen Bundesamtes).(Der Anteil ihres Einkommens, den eine Gesellschaft für Lebensmittel aufwendet, ist übrigens ein guter Indikator für ihren Wohlstand. Wer nichts hat, wer von der Hand in den Mund lebt, der wird, um zu überleben, fast alles in Nahrung investieren.)
  2. Bio-Siegel unterstützen beim Griff zur Ökoware. Jeden Tag werden in Deutschland 150 Millionen Kaufentscheidungen getroffen. Aber wir wissen so wenig über die Produkte, die in unseren Einkaufswägen landen. Wie ist die Qualität? Werden wir den Kauf bereuen?Weil wir ständig entscheiden müssen, aber kaum etwas wissen, reduzieren wir regelmäßig unsere Kaufentscheidung auf wenige Kriterien. Wir entscheiden nach Erfahrung, nach Aussehen und danach, was andere sagen. Zum Beispiel die Stiftung Warentest: Ein Produkt, das die Auszeichnung „gut“ oder „sehr gut“ auf seiner Verpackung kleben hat, wird deutlich häufiger in den Einkaufskorb gelegt.

    Bio-Siegel haben eine ähnliche Wirkung. Das bekannteste ist das sechseckige, grüne, staatliche Siegel, das es seit 2001 gibt. Über 50.000 Lebensmittel tragen mittlerweile dieses Siegel und zeigen damit, dass sie nach der EG-Öko-Verordnung hergestellt wurden.

  3. Bio-Produkte werden billiger. Der Verzicht auf chemische Pflanzenschutzmittel und artgerechte Tierhaltung machen Bio-Lebensmittel teurer als konventionelle. Aber auch in der Bio-Landwirtschaft gibt es Fortschritt, der die Produktion verbessert und vereinfacht. Außerdem professionalisiert sich der Handel mit Ökoprodukten zunehmend. Der Preisaufschlag für Bio-Produkte wird von heute 20 bis 30 Prozent auf 10 bis 15 Prozent sinken, schätzt die Unternehmensberatung Ernst & Young.

Diese Professionalisierung bekommen auch die Pioniere zu spüren. Immer mehr kleine Öko-Läden müssen schließen.

Auch den „Lebensbaum Naturwaren Laden“ aus Berlin gibt es nicht mehr. 1971 eröffnet galt er als der erste Bio-Laden Europas. „Uns ist finanziell die Luft ausgegangen. Es tut weh, alles aufzugeben“, diktierten die Besitzer Florence Spitz und Ronald Brauer, wenige Tage vor der Schließung einem Reporter der Tageszeitung Tagesspiegel in seinen Schreibblock, „aber die marktbeherrschende Stellung der Bio-Ketten lässt einem keine Chance.“


2 thoughts on “Von wegen Bio-Boom! Öko-Lebensmittel führen noch immer ein Nischendasein, doch das wird nicht so bleiben

  1. Bio-Produkte werden immer mehr Interesse den Kunden gewinnen. Schon jetzt greifen viele an Bio-Produkte. Ich denke, dass auch Viele durch den höheren Preis erschreckt werden. Und wenn ein Kunde zwischen einem „ungesundem“ aber billigerem und einem Bio-Produkt aber teureren auswählen muss, richtet er sich nach dem Stand ihres Geldbeutels. So ist die Realität. Oder kauft er nur einige Produkte, die Bio sind. Wenn die Bio-Lebensmittel billiger werden, worauf ich hoffe, werden die Kunden für Bio-Nahrungsmittel viel öfters greifen. Denn alle wollen Produkte höchster Qualität haben.

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  2. Bioprodukte sind halt etwas teurer. Leider fehlt auch der Hinweis ob es sich auch um Bioprodukte handelt. Sollten die Produkte für Bioartikel billiger werden, dann werden sie wahrscheinlich auch mehr gekauft und die Artikel setzen sich auch weiter durch.

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