Wir auch, wir auch! – Warum die Idee von der Einführung einer Kulturflatrate eine schlechte ist

Der längste Fluss misst 17 Kilometer, das gesamte Straßennetz 800 Kilometer, und in der Hauptstadt wohnen gerade mal 25.000 Menschen: “Isle of Man”, die überschaubare Insel zwischen Schottland, England und Nordirland, ist zwar klein, aber reich an Tradition. Jäger und Sammler kamen bereits im 6. Jahrtausend vor Christus auf die Insel, später hatten die Wikinger dort einen Außenposten, und das 979 gegründete Parlament gilt als das älteste durchgängig bestehende der Welt. Es ist noch heute weitgehend unabhängig von Großbritannien.

Doch auf “Isle of Man” hat nicht nur die Tradition ihren Platz: Jeder der 80.000 Einwohner verfügt über einen Breitbandanschluss für schnelles Internet, und das dortige Finanzministerium stellte Anfang des Jahres Pläne vor, wonach in Zukunft alle Inselbewohner nach Herzenslust legal Musik aus dem Internet herunter laden können. Im Gegenzug soll ein Aufpreis zwischen 50 Cent und einem Euro auf die monatliche Internetrechnung fällig werden.

Nirgendwo sonst ist die Idee einer so genannten Kulturflatrate so weit fortgeschritten wie auf der kleinen Insel in der Irischen See. Auf dem Vormarsch aber ist sie auch andernorts. In Großbritannien zum Beispiel macht sich die “Verwertungsgesellschaft der darstellenden Künstler und Musiker” schon seit 2006 dafür stark, eine “Kompensations-Abgabe” einzuführen, und im gleichen Jahr plädierten in Deutschland Organisationen wie der “Chaos Computer Club“ und das “Netzwerk Neue Medien” in einem offenen Brief an Justizministerin Brigitte Zypries “pauschalvergütete Tauscherlaubnisse” einzuführen.

Mittlerweile ist das Thema im Bundestag angekommen. Eine von den Grünen in Auftrag und Anfang des Monats vorgestellte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Einführung einer Kulturflatrate nicht nur rechtlich machbar, sondern im Interesse der Künstler auch geboten sei. Das Gutachten war vom Institut für europäisches Medienrecht (EMR) und der Kasseler Projektgruppe „Provet“ erstellt worden. Eine Kulturflatrate “verstößt nicht gegen die Grundrechte der Schöpfer”, heißt es in dem von EMR-Direktor Alexander Roßnagel vorgestellten Gutachten. Kritiker dagegen fürchten eine Enteignung von geistigem Eigentum.

Zunächst: Was versteht man unter einer Kulturflatrate? Dahinter steckt die Idee von der Legalisierung des Datenaustauschs (Filesharing) durch eine monatliche Pauschale, die an die Ersteller der in Tauschbörsen getauschten Inhalte ausgeschüttet werden. Diese Lösung findet Zuspruch, weil das alte Geschäftsmodell im Internet nicht mehr funktioniert, wonach bei jeder Transaktion von Musik, Film und Software der Nutzer an den Rechte-Inhaber zu zahlen hatte. Weil die digitalen Inhalte, einmal im Netz verbreitet, meist (wenn auch illegal) kostenlos zugänglich sind.

Eine Kulturflatrate hätte in mehrfacher Hinsicht Charme:

  • Die Kriminalisierung von Downloads wäre Geschichte, weil die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke für private, nichtkommerzielle Zwecke jedem erlaubt wäre.
  • Die Künstler hätten durch die Verteilung der Gelder aus der Zwangsabgabe ein höheres Einkommen.
  • Da praktisch alle an der Finanzierung beteiligt würden, wären die Belastungen für den Einzelnen überschaubar.

Auf der anderen Seite, der Preis für eine solche Kulturflatrate: Ungerechtigkeit, Chaos, Einflussnahme, Geldverschwendung.

Die erste Frage, die zu beantworten wäre: Welche „Kulturgüter“ würden mit der Kulturflatrate überhaupt finanziert? Nur Musik? Warum nicht auch Filme? Und was ist mit Texten? Geht’s den Journalisten zur Zeit nicht schlecht? Und was ist mit Software? Was mit Fotos?

Die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen der gegenwärtigen Wirtschaftskrise zeigen: Wer einer Industrie den Finger reicht, um deren Einnahmen aufzubessern, dem hängen in Kürze alle anderen Wirtschaftszweige an allen anderen Fingern. „Wir auch, wir auch,“ ruft es dann aus allen Ecken. Warum Opel helfen, aber nicht dem ebenfalls schwächelnden Einzelhandel?

Vor Einführung einer Kulturflatrate wären weitere Fragen zu beantworten: Wie werden die einzelnen Inhalte vergütet? Wie viel ist Beethoven Wert, im Vergleich zu einem Computerspiel oder einem Pornofilm? Fest stünde bereits schon vorher: Den etablierten Konzernen würde es dank ihrer finanzkräftigen Lobbyarbeit gelingen, den Großteil des Geldkuchens selbst zu verspeisen.

Hinzu kommt: Neben dem Verteilungs- gäbe es ein Messproblem. Die zentralistische Erfassungs- und Regulierungsmaschinerie müsste nämlich herausfinden, welche Inhalte wo und wie oft herunter geladen und verwendet werden, um die Gelder entsprechend der Nutzung der Inhalte zu verteilen. Aber der technische Fortschritt würde der Messtechnik vorneweg eilen. “Heute reden wir von MP3s und AVIs, morgen von interaktiven Multimedia-Content-Flüssen ohne klar definierte Grenzen, die im Hin und Her zwischen wandernden Nutzerscharen spontan entstehen und wieder vergehen”, schreibt Christian Heller auf seinem Blog future:plom. Eine Messlogik, die sich auf festgelegte technologische Verbreitungsstrukturen und Verteilungscontainer-Formen konzentriere, wie etwa das einzelne Musikstück oder der einzelne Film, dürfte da kaum mitkommen, ist Heller überzeugt.

Außerdem würde eine einmal eingeführte Gebühr für die Kulturflatrate in Zukunft vermutlich stetig steigen. Argumente für Erhöhungen finden sich immer: steigende Verwaltungskosten, Zunahme der Inhalte im Netz. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist der lebende Beweis. Sieben Milliarden Euro treibt die GEZ über Zwangsgebühren jährlich ein. Es ist das teuerste Radio- und Fernsehsystem der Welt.

Wenn aber die Kulturflatrate nicht taugt zur Finanzierung von kreativen Inhalten und wenn sich gleichzeitig für Inhalte im Internet keine Urheberrechte durchsetzen lassen: Was dann? Wo sind die tauglichen Alternativen? Die eine, einfache Antwort gibt es nicht. Gefragt ist findiges Unternehmertum statt staatlicher Interventionen: Musikbands, die ihre Musik über MySpace bekannt machen und danach in vollen Hallen spielen; Kinobetreiber, die ihre Säle mit neuester Bild- und Tontechnik aufrüsten, um die Menschen aus dem heimischen Wohnzimmer zu locken; Software-Hersteller, die kostenlose Hotlines für ihre Kunden anbieten. Das Geld liegt auf den Straßen des Internet-Highways. Leicht zu finden aber ist es deswegen noch lange nicht.

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