Der Mensch darf seinen Wünschen folgen – Oder: Warum ich Volkswirt wurde

Ich, im Garten meiner Eltern, Anfang der 1990er Jahre.

Sie finden Wirtschaftswissenschaften langweilig?

Fair enough.

Darf ich Ihnen trotzdem sagen, warum es mir nicht so geht?

Wir müssten dafür ein paar Jahrzehnte in meine Vergangenheit reisen.

Nach der Schulzeit wusste ich nicht, was ich studieren soll. Mir war nur eines klar: Ich wollte menschliches Zusammenleben besser verstehen. Ich dachte an Psychologie oder Soziologie, probierte Politikwissenschaft, Jura, Geschichte und eben Volkswirtschaftslehre. Letzteres packte mich. Die Volkswirtschaftslehre kennt nicht nur Methoden, menschliches Zusammenleben zu erklären, sie arbeitet auch an der Lösung von Problemen.

Zugegeben, das machen in Variationen auch andere Sozialwissenschaften. Dass mich die Ökonomik von ziemlich Anfang an faszinierte, hatte einen weiteren Grund, einen persönlichen.

Ich wuchs in einem katholischen Elternhaus auf. Das soziale Selbstverständnis war: Der Mensch ist dann gut, wenn er selbstlos handelt, von Natur aus ist der Mensch dagegen egoistisch und eher böse.

Das war kurz gesagt mein Weltbild bevor ich an die Uni kam.

Die (Ordnungs-)Ökonomik lehrte mich Neues: Der Mensch darf und soll seinen Wünschen folgen. Es entspricht seiner Natur. Ob daraus Gutes entsteht, hängt weniger vom Einzelnen ab, als den Regeln, die sich eine Gesellschaft gibt.

Das war so fundamental neu wie befreiend für mich. Dass nämlich die Moral in den Regeln liegt, die sich eine Gesellschaft gibt, weniger im Individuum. Sind diese Regeln so gesetzt, dass persönliches Streben zum Wohle aller wirkt, sind Eigenliebe und Nächstenliebe zwei Seiten derselben Medaille.

Ob etwa grenzüberschreitender Handel den Wohlstand aller erhöht oder die Umwelt zerstört, hängt weniger von den handeltreibenden Personen ab, als den Bedingungen, unter denen Handel stattfindet ­- im Übrigen auch davon, wie der aus Handel resultierende Wohlstand verteilt wird.

Die Erkenntnis jedenfalls, dass die Wirkung von Eigen- und Gesellschaftsinteresse deckungsgleich sein kann, war meine persönliche Befreiungstheologie.

Die Ökonomik hatte mich damit aus einer bedrückenden Sozialisierung befreit, wonach ein guter Mensch nur der ist, der anderen Gutes tut. Jetzt galt: Wer sich selbst Gutes tut, kann damit auch anderen Gutes tun. Dafür aber braucht es eines: gute Regeln.

Die Ökonomik hat also vor mehr als drei Jahrzehnten mein Denken grundlegend verändert. Sie tut es noch heute. Immer wieder. Vielleicht war die Ökonomik nie vielfältiger, mindestens war nie mehr Wissen zugänglich.

Mit dem Wissen wächst meine Hoffnung. Die Hoffnung, mit der Verbreitung ökonomischen Denkens einen kleinen Beitrag zu leisten, dass jene Regeln unserer Gesellschaft im Grundsatz erhalten bleiben und im Detail besser werden, dass jeder Mensch nach seinen Wünschen und Vorstellungen leben kann. Und dass Menschen nicht auf Kosten anderer leben.

Das treibt mich an. Denn eine solche Gesellschaft ist die beste aller Welten. Und sie hat auch einen Namen: Demokratie.

3 thoughts on “Der Mensch darf seinen Wünschen folgen – Oder: Warum ich Volkswirt wurde

  1. Interessant. Ich habe in der Gegend auch ein wenig studiert, aber ich würde es etwas anders sehen. Für mich liegt die Offenbarung der Ökonomik nicht in der Regelsetzung, sondern in der prozessualen Dynamik von Freiheit, die notwendigerweise von Gewaltlosigkeit begleitet sein muss. Da auf diese Weise Menschen nichts anderes übrig bleibt als zu (ver)handeln, pendelt sich der gesamtgesellschaftliche Wohlstand als Summe seiner Teile ein.

    Die Wirklichkeit hat gezeigt, dass das nicht ausreicht, und dass ein solches System die Tendenz zur Instabilität haben kann, so dass es tatsächlich eines Regulators bedarf. Der stellt aber nicht den Kern des Systems dar, sondern ist eher eine notwendige Nebenbedingung, die auf ein Minimum zu beschränken ist. Wie groß dieses Minimum ist, darum wird dann politisch gestritten.

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