„If economics today has little glamour, if its sense of great adventure is often lacking, it has no one to blame buts its own practitioners.“ – Robert L. Heilbronner
Auf den ersten Blick könnte der Unterschied kaum größer sein. Auf der einen Seite, der besonnene, freundliche, zurückhaltende deutsche Ordnungsökonom (und Direktor des arbeitgeberfinanzierten Instituts der deutschen Wirtschaft) Michael Hüther, auf der anderen Seite die raumeinnehmende, dominierende, laute linke Starökonomin Mariana Mazzucato. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (disclaimer: Ich arbeite in Teilzeit für das Unternehmen) hatte in Berlin geladen (siehe auch Video unten), um die Frage zu diskutieren, wie viel Staat unsere Gesellschaft braucht. Und sie hatte zwei vermeintliche Gegenpole geladen. Nicht nur was die Äußerlichkeit betrifft.
Hier Mazzucato, die rund um den Globus Regierungen und Institutionen berät, die sich für einen starken, selbstbewussten Staat einsetzt; dort ein deutscher Ordnungspolitiker, der eher für das Gegenteil steht, für einen Staat, der zwar wichtig, aber tendenziell in die Schranken verwiesen werden sollte.
Man könnte also meinen, dass der Boden für eine scharfe Kontroverse bereitet war. Doch weit gefehlt. 90 Minuten später fragt sich der Betrachter, ob der Unterschied zwischen den Personen nicht vor allem eine von Rhetorik, Wortwahl und Temperament ist.
Die Professorin für Economics of Innovation and Public Value am University College London ist im Grunde eine One-Woman-Therapeutin für Regierungen. Seid selbstbewusst, entwickelt eine Mission, verkauft diese bestmöglich an eure Bevölkerung, lautet ihr Credo an Politik und Regierungen. Es gebe keinen Grund, dass Staaten im Büßerhemd herumliefen, wenn etwas schief laufe, bei Unternehmen passiere das auch ständig, so die in Italien geborene US-Amerikanerin. Vor allem bei den wirklich großen Gesellschaftsthemen wie Klimaschutz oder Gesundheit brauche es den starken Staat, der Missionen starte, sie lenke, Ziele definiere und für deren Einhaltung sorge, so Mazzucato.
Zustimmung bei Ordnungspolitiker Hüther. Die Dekarbonisierung von Industrie und Konsum könne gar nicht anders geschafft werden, als durch einen tief in die Strukturen eingreifenden Staat.
Lediglich bei der Frage, wie sehr der Staat selbst als Investor auftreten sollte, ein Hauch von Dissens. Hüther verweist auf die weitverzweigte, staatlich finanzierte Forschung von Fraunhofer, Steinbeis und Co. in Deutschland; Mazuccato beharrt darauf, dass vor allem am Beginn von Missionen der Staat auch als Investor auftreten sollte, um die Risiken der Marktteilnehmer zu reduzieren. Damit diese sich in den Markt trauten. Aber gibt es hier wirklich einen Dissens? Ist staatliche Forschungsförderung im Kern nicht das, eine Anschubfinanzierung?
Und so verfestigt sich der Eindruck an diesem Nachmittag in Berlin, dass die Unterschiede geringer sind als die Wortwahl der Protagonisten vermuten lässt, dass aber Mazzucato die bessere Verkäuferin ökonomischer Erkenntnis an die Politik ist. Denn ihre Botschaften sind durchweg positiv.
Und damit drängt eine überraschende Frage ins Bewusstsein, nämlich inwiefern die Protagonisten deutscher Ordnungspolitik von Mazzucato lernen könnten. Diese beklagen sich bekanntlich regelmäßig darüber, dass sie zu wenig Gehör in der Politik finden, und haben dafür stets die gleiche Erklärung parat. Ordnungspolitik sei für die Politik per Definition langweilig, weil der Staat nur Rahmensetzter sei, die bisweilen spektakulären Ergebnisse aber von den Akteuren im Markt geschaffen würden. Verbote, Eingriffe in den Markt, konkrete Subventionen dagegen würden eine Handlungsmacht der Politik suggerieren und seien deswegen attraktiver. Die Erklärung für die eigene fehlende Wirkmächtigkeit liege also im zu vermittelnden Thema selbst. Wer so argumentiert, wäscht seine Hände in Unschuld. Zu Recht?
Der Nachmittag mit Mazzucato gibt Zweifeln Raum. Vielleicht hat die geringe Wahrnehmung von Ordnungspolitik in der Politik eine andere Ursache. Vielleicht hat die Ordnungspolitik eine zu staatskritische Sicht. Wer will schon (in der Politik) Ratschläge annehmen, wenn sie stets als Kritik formuliert werden?
Ich frage mich deshalb, wie wohl eine deutsche Ordnungspolitik aussehen würde, wenn sich hinter ihr nicht vor allem all jene versammeln würden, die den Staat als Gefahr sehen? Aus guten geschichtlichen Gründen als Gefahr sehen. Den man bändigen muss. Den man deshalb meint, so klein wie möglich halten zu müssen. Weil er stets danach strebe, übermäßig groß zu werden. Ein Staat, der immerfort nach dem mühsam erarbeiteten Geld seiner MitbürgerInnen schielt. Es ihnen nimmt. Der mit Geld nicht umgehen kann. Ein Staat, der dann am besten ist, wenn er möglichst wenig Geld zu verteilen hat.
Wie würde also eine Ordnungspolitik aussehen, die den Staat als gleichberechtigten Akteur im gesellschaftlichen Zusammenleben akzeptiert? Eine Ordnungspolitik, in der der Staat seine Legitimation nicht ständig erkämpfen muss. Ein Staat, der selbstverständlich ist. Überall dort, wo Märkte nicht ohne den Staat funktionieren. Auch bei den ganz großen Fragen. Bei der Frage über Krieg und Frieden. Der Zukunft unseres Planeten. Bei Fragen der Gerechtigkeit. Eine Ordnungspolitik also, die dem Staat eine wesentliche gestalterische Rolle zuschreibt, in welche er gesellschaftliche Entwicklungen begleitet, fördert, in sie investiert. Wie würde eine solche Ordnungspolitik aussehen? Sie würde den Staat nicht überhöhen, aber ihm eine wichtige – und vor allem positive Rolle zuschreiben. Eine Politikberatung, die daraus erwächst, würde auf offene Ohren in der Politik stoßen. Das wäre mindestens ein Anfang.
Nun würde ich den guten Herrn Hüther nicht gerade als Musterexemplar eines Ordoliberalen heranziehen. Seine Aufgabe ist auch eine andere. Insofern überrascht die Annäherung dann doch nicht.
Aber was die eigentliche Frage angeht: Natürlich wird vor allem Kritik am Staat geübt, weil er all das nicht macht, was aus ordoliberaler Sicht angemessen wäre. Aber es gibt eben Staatsaktivität, die nicht nur angemessen, sondern auch notwendig ist, und das wird kein Ordoliberaler bestreiten. Das Problem ist nur, dass diese eher zu wenig und das kurzatmige, hektische Mikromanagement zu viel betrieben wird. Mit all den Nachteilen z.B. in Bezug auf zeitlichen Versatz.
Ich würde dem Autor insofern Recht geben, als dass es den Ordoliberalen gut anstünde, die von ihnen gewünschte Rolle des Staates zu betonen und zu würdigen. Vielleicht erübrigt sich damit auch etwas an Kritik an dem, was er tatsächlich macht.
Gerade in der Klimapolitik kann man doch beobachten, wie der politische Wunsch, alles von oben zu gestalten, zu maximaler Ineffizienz führt, und das seit Jahren. Aktuell sei da nur das Stichwort “Sektorziele” genannt, das auch in einem Fünfjahresplan der SED einen guten Platz gefunden hätte.
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