Am Beginn der Aufklärung: Warum der Populismus mehr als ein Politik-Phänomen ist

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Personifizierter Populismus: Donald Trump, auf einem Plakat in West Des Moines, Iowa // Foto: Tony Webster (CC BY-NC-ND 2.0)

Vielleicht nähert man sich der Populismus-Debatte am besten, indem man sich von ihr entfernt. In dem man nicht auf die Politik schaut, nicht auf politische Themen, um die sich Populismus-Diskussionen in der Regel drehen. Vielleicht lernen wir mehr, wenn wir zunächst weg gehen von der soziologischen, hin zur psychologischen Sichtweise – und in einer Buchhandlung das Regal mit Gesundheitsratgebern betrachten.

Die Literatur mit Erkenntnissen aus der Wissenschaft ist dort deutlich in der Minderheit. Man findet die verrücktesten Therapievorschläge. Die einen wollen mit Steinen heilen, die anderen nur mit Gedanken, wieder andere mit Ernährung mittels ganz weniger, ganz bestimmter Nahrungsmittel. Den meisten Methoden ist gemein: Die Lösung der Probleme scheint einfach.

Freilich lassen sich aus der Auswahl von Gesundheitsratgeber in Buchhandlungen nur bedingt Rückschlüsse ziehen, etwa über den Umgang der Deutschen bei Krankheit. Denn auf der einen Seite ist das Sortiment kuratiert (die schlimmsten Schundbücher schaffen es nicht in die Auslage), auf der anderen Seite haben Menschen, die der (Schul-)Medizin vertrauen, vermutlich weniger das Bedürfnis, sich selbst über ein Krankheitsbild und dessen Heilungsmöglichkeiten zu informieren.

Allerdings: Das Phänomen, dass sich der Stand der Wissenschaft nicht im Bücherregal von Buchhandlung abbildet, ist mir auch aus der Volkswirtschaftslehre vertraut. Nur bedingt lässt sich das, was sich in diesem Bereich verkauft, wissenschaftlich herleiten. Weder belegt die Ökonomik, dass sich der Kapitalismus bald selbst abschafft, noch dass sonst demnächst alles den Bach runter gehen wird. Die Bücher, die zum Verkauf stehen, sagen mehr über die Leser, weniger über den Stand der Wissenschaft.

Gemein ist vielen dieser Bücher aber nicht nur, dass sie einfache Antworten auf weniger einfache Fragen suggerieren, sie versprechen auch Probleme lösen zu können, ohne viel dafür tun zu müssen. Das regelmäßige Trinken von Rote-Beete-Saft nach einer Darmkrebs-Diagnose ist eben kurzfristig die angenehmere Therapie-Option (als sich einer Operation mit ungewissem Ausgang zu unterziehen). Und das Buch, das vernichtende Gesellschaftskritik übt, stützt bequem das eigene Weltbild, das möglicherweise gebaut wurde, damit man nicht selbst die Verantwortung dafür trägt, es nicht dahin gebracht zu haben, wohin die von den Eltern geschaffene Erwartungshaltung einen eigentlich hätte bringen sollen.

Der Mensch ist zu vielen Verdrehungen in der Lage, wenn es darum geht, seine Vorstellungswelt zu erhalten. Das stärkste Mittel ist das der strikten Abgrenzung. Dann gibt es nur noch schwarz und weiß, gut und böse. Die Ökonomie ist dann von neoliberalen Interessengruppen unterwandert, die Pharma-Industrie durchweg geldgierig, korrupt und menschenverachtend. Wenn die andere Sicht undenkbar wird, braucht man sich nicht mit ihr zu beschäftigen. Populismus als Entlastung.

Die Bücheregale in Buchhandlungen zeigen jedenfalls, dass Populismus nicht nur ein Phänomen der Politik ist. Das Herabwürdigen anderer Ansichten und Meinungen, sowie der Anspruch, dass nur die eigene Therapie, Vorstellung, Gesellschaftssicht richtig und wahr ist, ist weit verbreitet – und vermutlich weiter verbreitet, als sich dies in den klassischen Medien vergangener Tage gespiegelt hat.

Vielleicht ist das die einzige relevante wie schlichte soziologische Erkenntnisse in der gegenwärtigen Populismus-Debatte, dass die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten die vielen aus wissenschaftlicher Sicht obstrusen Ansichten besser zugänglich und ihre Diskussion darüber verstärkt hat.

1717, also vor exakt 300 Jahren, führte Preußen die landesweite Schulpflicht ein. Zuvor war Lesen, Schreiben, Rechnen das Privileg einer Minderheit. Der Beginn der Aufklärung liegt mit Blick auf die Menschheitsgeschichte gerade einen Wimpernschlag zurück. Sapere Aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, schreibt Immanuel Kant 1784. Der Fortschritt erlaubt es uns mehr denn je, diesem Weg zu folgen, es war aber auch nie offensichtlicher, wie schwer wir uns damit tun.

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