Wie anders würden wir leben, wenn wir den Preis von politischen Entscheidungen kennen würden? Noch mehr: Wenn wir ihn nicht nur kennen würden, sondern auch noch wüssten, wer ihn zu zahlen hat?
Im privaten Leben ist dieser Preis häufig offensichtlich. Er entsteht auf Märkten. Wenn ich bei meinem Lieblingsitaliener essen gehen, benötige ich gut 20 Euro. Der Preis ist Grundlage für das Treffen von richtigen Entscheidungen – und Voraussetzung um seine finanziellen Möglichkeiten bestmöglich zu verwenden. Das klingt so ökonomisch wie es ist.
Im öffentlichen Leben geht dieser Zusammenhang häufig verloren. Je weiter entfernt von betroffenen Menschen Entscheidungen gefällt werden, desto unklarer das Wissen über den Nutzen und die Kosten. Desto ungewisser auch, wie sehr jene, die Entscheidungen treffen, die Interessen der Betroffenen überhaupt im Blick haben können oder wollen. Der Mensch schätzt in der Regel jene Menschen am meisten, die um ihn sind, weil er sie kennt. Der Mensch ist ein emphatisches Wesen.
Mit der Entfernung nimmt also das Risiko zu, dass falsche Entscheidungen getroffen werden. Falsch mindestens in dem Sinne, dass es bessere Entscheidungen gegeben hätte. In welchem Bezirk sollen marode Bürgersteige zuerst erneuert werden? Wie viel Steuergeld soll in Schulen gesteckt werden? Braucht es eine umfangreichere Bekämpfung von Drogenkriminalität? Eine bessere Ausstattung der Bundeswehr? Mehr Geld für Entwicklungshilfe? Das sind politische Entscheidungen, die in Demokratien im Kern über Mehrheitsbefragungen entschieden werden. Auf einer ersten Ebene durch die Bürger, im Detail von Parlamenten.
Doch die getroffenen Entscheidungen sind meist in zweifacher Hinsicht unbefriedigend. Während sich ein Problem minimieren lässt, ist das zweite gänzlich unnötig.
Das erste Problem wohnt der Demokratie inne. Zentraler Bestandteil von Demokratien sind Mehrheitsentscheidungen. Was für die Mehrheit richtig ist (oft auch finanziell von Vorteil), muss eine Minderheit aushalten (und häufig bezahlen). Deswegen gibt es besonders hohe Steuersätze für relativ wenige Reiche. Deswegen gibt es (bald gab) im Länderfinanzausgleich wenige Geber- und viele Nehmerländer. Die Mehrheit überstimmt die Minderheit. Es werden also in einer Demokratie nie alle glücklich.
Wie gesagt, das Problem ist unlösbar, es lässt sich nur verkleinern: durch Minderheitenschutz zum einen, vor allem durch Auslagerung all jener Entscheidungen, die gar nicht auf politischer (also Mehrheits-) Ebene gefällt werden müssen. Es bräuchte zum Beispiel nicht über die Notwendigkeit der ersten Klasse bei der Deutschen Bahn diskutiert werden, wenn die Bahn kein Staats-(und im wesentlichen einziges Personenbeförderungs-)Unternehmen auf der Schiene wäre.
Gänzlich lösen lässt sich das Problem wie gesagt nicht. Die Demokratie ist nur die beste aller bekannten Staatsformen. Doch die Demokratie könnte viel besser funktionieren. Denn es gibt ein zweites, ein hausgemachtes Problem: Den Menschen fehlt bei Wahlen regelmäßig eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Sie wissen zwar, was ihnen die Politik verspricht (und wählen regelmäßig jene, die am meisten versprechen), doch ist meist unbekannt, wer den Preis nach der Umsetzung der Versprechen zu zahlen hat. Genauer gesagt: Es ist bekannt, dass es irgendwie alle finanzieren müssen. Um beim Lieblingsitaliener-Beispiel zu bleiben: Jeder geht essen, wenn er glaubt, dass er den Preis so oder so zahlen muss, egal ob er hingeht oder nicht.
So läuft gesellschaftliche Entscheidungsfindung gegenwärtig ab: Die Menschen wählen sich aus den Politik-Angeboten jene aus, die ihnen am meisten bringen, selbst wenn Preisschilder dranhängen, weil unklar ist, wer bei Verwirklichung zahlen wird. Die so genannte Mütterrente zum Beispiel kann noch so viel kosten, es kann keinen fairen politischen Wettbewerb über ein solches Politikangebot geben, wenn die Zahler nicht benannt und bekannt sind.
Die Politik hat dieses Demokratiedefizit selbst herbeigeführt. Sie wollte es so. Sie hat den Preis für ihre politischen Angebote systematisch verschleiert, in dem sie ein Steuersystem etabliert hat, das keine Verantwortlichen kennt.
Die Politik hatte von dieser Strategie zunächst profitiert. Weil Politiker Verkäufer sind. Die nennen den Preis nach Möglichkeit nicht. Die Kosten werden so häufig erst nach Vertragsabschluss offensichtlich. Den Verkäufer stört das nicht mehr, er hat seinen Schnitt gemacht (sitzt im Parlament oder in der Regierung). Das Problem: Solche Verkäufer hinterlassen verbrannte Erde. Machen Kunden schlechte Erfahrungen, werden sie dem nächsten Verkäufer skeptisch gegenübertreten, auf Dauer werden sie jeden Verkäufer in die gleiche Schublade stecken: alles Betrüger.
Die Politik hat sich mit dieser Strategie langfristig geschadet. Der Weg zurück ist ein mühsamer. Aber es gibt in. Und er ist klar beschreibbar.
In Deutschland gibt es im Kern drei politische Ebenen: Gemeinden, Bundesländer, Bund. Dort stellt sich das politische Personal zur Wahl, dort muss offensichtlich werden, dass Versprechen Preise haben.
Die Preise sind Steuern und Abgaben. Wie würden in Deutschland wohl Wahlkämpfe geführt, wenn es im wesentlichen nur drei Steuerarten gäbe: Eine Gemeindesteuer, eine Landessteuer, eine Bundessteuer?
Wenn auf Bürgersteigen Hundehaufen bleiben, weil die Stadtreinigung nicht hinterherkommt, wird nach mehr Personal gerufen. Mit einer Stadtsteuer würde die Diskussion das notwendige zweite Bein bekommen. Dann würde offensichtlich, dass Leistung Geld braucht. Die Menschen wüssten dann, dass Wünsche von den Wünschenden bezahlt werden müssen. In der politischen Entscheidung bliebe, was in die Politik gehört, nämlich die Ausgestaltung der von den Menschen bezahlten Wünsche.
Natürlich ist das Hundehaufen-Beispiel nur eines von zahllosen. Wie etwa wäre das Quorum zur Zusammenlegung der Bundesländer Berlin und Brandenburg ausgegangen, wenn eine politische Partei damit hätte werben können, dass mit einer solchen Zusammenlegung eine vierköpfige Familie im Jahr 1.800 Euro an Landessteuern spart? Und gäbe es das Saarland noch als Bundesland, wenn die Menschen dort nicht nur die Vorteile der Nähe zu ihren Entscheidungsträgern genießen würden, sondern auch die gesamten Kosten für das einzigartige Verhältnis von Zahl an Bürgern pro Politiker?
Wie anders wäre unser Leben? Es wäre ein transparenteres. Und die Menschen würden zur politischen Teilhabe ermutigt. Auch moralisch verpflichtet. Denn wer die Möglichkeit hat, an alle notwendige Informationen für Entscheidungen zu kommen, dem Entfallen Rechtfertigungen für Desinteresse. Nicht zuletzt könnte die Politik ehrlicher werden. Sie hätte die Chance, dem Überbietungswettbewerb an Wahl-Versprechen zu entkommen. Vor allem aber würden alle Menschen grundsätzlich in die Lage versetzt werden, die für sie richtigen politischen Entscheidungen zu treffen. Sie würden regelmäßig eine Antwort auf die Frage finden, die sich vor jedem Besuch des Lieblingsitalieners stellt: Ist mir das Angebot den zu zahlenden Preis wert?
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Sehr schöner Vorschlag! Man kann durchaus mit Recht fragen, ob ein unüberschaubar komplexes politisches System überhaupt noch Legitimität besitzt.
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