Ich trage in meinem Rucksack in der Regel ein MacBook Pro mit. Bevor es aussortiert wurde, auch das iPad Pro. Doch es erschien mir, inklusive seiner externen Tastatur, bald als Kopie des Laptops, als schlechte Kopie einer bereits ausgereiften Technik, bei der eine gute Tastatur, ein Rechner und ein Bildschirm in eine sehr sinnhafte und kompakte Form gebracht worden war.
Zum Glück habe ich vor ein paar Wochen dem iPad Pro eine zweite Chance gegeben. Mittlerweile habe ich folgendes gelernt: Man muss einer neuen Technik Zeit geben, sonst reproduziert man lediglich die Funktionen der alten Technik. Das Neue entsteht langsam, aus Versuch und Irrtum, aus Zufälligkeiten, aus denen Gewohnheiten werden können, die bisweilen im Laufe der Zeit verfeinert werden.
Denn das iPad Pro ist im Kern weder ein Laptop, noch ein (reines) Lese- oder Abspielgerät. All das geht, all das geht schlechter als beim jeweiligen Original (Laptop, Fernseher, Buch, eReader). Das iPad Pro, so wie ich es mittlerweile zu schätzen gelernt habe (das größere der beiden Varianten), setzt technologisch in grauer Vorzeit an. Beim Stift, beim Schreiben auf Papier. Zu einer Zeit als die Schreibmaschine noch nicht erfunden war. Jenes technische Wunderwerk, das lesbares Schreiben in hoher Geschwindigkeit ermöglichte. Das einem aber gleichzeit fast jede visuelle Kreativität nahm. Rund 200 vordefinierbare Zeichen standen und stehen zum eigenen Ausdruck zur Vefügung, eine (Selbst-)Beschränkung, die nicht nur visuelle Ausdrucksstärke marginalisiert, sondern auch den kreativen Entstehungsprozess in vorgegebene Bahnen lenkt.
Mit großen Tablets kommt die Stärke von Papier und Stift zurück. Die Größe ist dabei entscheidend. Ab DIN-A-4 (iPad Pro 12,9″) bekommen die Geräte eine eigene Qualität, sind nicht mehr Laptop-Ersatz.
- Die Bewegung der Hand schafft eine Verbindung zum Gehirn, die über das Kurzzeitgedächtnis hinaus geht.
- Der Stift befreit von den Restriktionen, die aus der Welt der Schreibmaschine stammen, wo (wie oben bereits erwähnt) ein begrenzter Zeichensatz vorgibt, was kommuniziert werden kann.
- Stift mit Papier lädt zum Prokastinieren im guten Sinne ein. Will der nächste Gedanke nicht folgen, unterstreicht man ein Wort, kringelt ein oder geht im Text – und damit gedanklich – zurück.
- Die Möglichkeiten gedanklich beim Text (und damit beim Thema) zu bleiben sind manigfach, auch weil mit dem Tablet die Körperposition einfacher und umfassender verändert werden kann als beim Arbeiten mit dem Laptop.
All diese Freiheiten zahlen auf die Kreativität ein. Plötzlich wirkt der Laptop wie ein Gerät, das einen gefangen hält, das einem vorgibt, was zu tun ist. Dabei hat der Laptop freilich seine Vorteile. Er ist eine Effienzmaschine, mit der man einen Task nach dem anderen abarbeiten kann. Ich kann in manchen Bereichen heute in vier Stunden runter rocken, wofür ich früher zwei Tage brauchte. Der Laptop schafft Quantität, das iPad Qualität.
Dabei reproduzieren Tablets nicht nur die Technik von Stift und Papier. Die digitale Technik, nicht zuletzt die Anbindung mittels Internet an die Welt, ermöglicht neue Anwendungen. Input und Output sind potenziell grenzenlos geworden.
Für mich ist das iPad Pro, neben einem Fotoapparat, das einzige stetige Gerät geworden, das ich gerne in jener Zeit verwende, die im englischen Sprachraum “quality time” genannt wird. Wenn ich was tun will, was bleiben soll. Wenn ich nachdenken will und dieses Nachdenken Unterstützung und Niederschlag finden soll.
Dem iPad Pro gelingt jene Nähe, die Technik braucht, wenn sie mit dem Menschen verwachsen soll. Wir schätzen Autos, wenn sie uns zuverlässig an fast jeden Ort der Welt bringen. Wir lieben unsere Wohnung, wenn sie warmer, wohltuender Rückzugsort vor der Welt ist. Immer kommt es darauf an, dass komplexe Technik (zum Beispiel Kabel und Rohre in der Wand) wie unsichtbar reibungslos funktioniert.
Große Tablets stehen in der Reihe dieser Wunscherfüller. Weil sie uns sowohl Inhalte angenehm aufnehmen lassen, wie wir ebenso einfach Inhalte in das Gerät reingeben können – und das so unmittelbar, wie es vorher noch keiner Digitaltechnik gelungen ist. Die Schreibmaschinenlogik als Leitidee, um kreativen Output mit technischer Hilfe zu erstellen, könnte uns in manchen Bereichen schon bald als Anachronismus erscheinen.
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