Börsenkurse brechen ein und Ökonomen prophezeien einen wirtschaftlichen Niedergang. Die Nachrichten nach der Brexit-Entscheidung können beinahe Angst machen. Haben die Briten gegen ihre eigenen Interessen entschieden? Ich vermute: nur auf kurze Sicht.
Grundsätzlich und langfristig betrachtet ist die Entscheidung nachvollziehbar, sprich rational. Die Briten haben sich mit der Pro-Brexit-Mehrheit für ein System entschieden, auf welches sie als Wähler den meisten Einfluss haben, nämlich die nationale Gesetzgebung.
Die Wirkung der gestrigen Wahl freilich geht über Großbritannien hinaus. Denn mit der Abstimmung wurde den europäischen Institutionen eine unvergessbare Lehre erteilt. Die Botschaft ist: Betreibt ihr in Brüssel strukturell und inhaltlich eine Politik, die wir nicht unterstützen, dann finden wir Wege, euch nicht mehr zu unterstützen.
Warum diese Lehre wichtig ist? Einmal errichtete Institutionen verschwinden praktisch nie mehr aus sich heraus. Die Beharrungskräfte sind enorm. Die Macht der direkten Demokratie aber kann sie ins Wanken bringen. Wollen sie nicht einstürzen, müssen sich die Institutionen reformieren, sich den Bürgern zuwenden, demokratischer werden, im Kern: sich an den Interessen der Wähler ausrichten. Die wollen mitbestimmen. Mitbestimmung aber gibt es um so mehr, je niedriger die Entscheidungsebene ist: zu allererst in der Kommune, dann auf regionaler, dann auch Landesebene, zum Schluss auf europäischer und anderen supranationalen Ebene(n).
Die Einführung eines strikten Subsidiaritätsprinzips, Parlamente, die ihren Namen verdienen, inklusive einer für den Wähler zuordenbaren Finanzhoheit: damit würde aus der EU keine Herzensangelegenheit werden, aber deren Akzeptanz würde zunehmen – weil sich das Ohnmachtsgefühl der Wähler verringern würde.
Die EU-Institutionen werden, dank der Briten, gezwungen, sich in diese Richtung zu bewegen. Sie werden bürger- und demokratiefreundlicher – oder sie werden verschwinden. Wir können den Briten also dankbar sein, wir werden von ihrer Entscheidung profitieren. Möglicherweise mehr als sie selbst.
Lesentipp: Brexit it is: On the rationality of referenda von Jan Schnellenbar
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One thought on “Warum wir den Briten eines Tages noch dankbar sein könnten”