
Die Große Koalition möchte bekanntlich die Lebensleistungsrente einführen. Wer lange wenig in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, soll mehr Rente erhalten, als wer den gleichen Betrag in kürzerer Zeit gezahlt hat. Ziel, so die Politik, soll die Verhinderung von Altersarmut sein.
Es ist unter Experten einigermaßen unstrittig, dass die Lebensleistungsrente dazu kaum taugt. Sie erfasst nur eine kleine Gruppe (wer 40 Jahre und länger in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat) und es ist innerhalb dieser kleinen Gruppe nur ein Teil von Altersarmut betroffen. Denn die Menschen haben bekanntlich bisweilen weitere Einkommensquellen als die eigene staatliche Rente.
Wollte die Politik Armut im allgemeinen und Altersarmut im Speziellen bekämpfen, müsste sie den Wählerstimmen bringenden Pfad verlassen, ein ausgetretener Pfad, auf dem mit der Bedienung von Partikularinteressen (Stichworte “Mütterrente”, “Rente mit 63”) die Wiederwahl gesichert wird. Der Weg für die Politik würde steiniger werden. Es müssten Entscheidungen getroffen werden, die erst in der langen Frist Erfolg versprechen und die bisweilen unpopulär sind. Wer will sich dafür opfern?
Und dennoch: Die Politik kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Weil weitgehend bekannt ist, wie Armut zu bekämpfen ist.
1. mit Wachstum
Es bringt Wachstumskritiker regelmäßig in ein Dilemma, aber nichts bekämpft, global betrachtet, Armut besser, als eine Politik, die Wachstum möglich macht. Die Geschichte der weltweiten Armutsreduktion der vergangenen mindestens 100 Jahre ist das Spiegelbild der Wachstumsentwicklung. Asien war vor 50 Jahren das Armenhaus der Welt, heute ist dort der Lebensstandard in vielen Ländern mit dem in Westeuropa vergleichbar – oder liegt sogar höher. Aber mit Wachstum entkommt man nicht nur bitterer Armut. Auch Deutschland braucht Wachstum. Was sich Rentner (bei schrumpfender Bevölkerung) in Zukunft werden leisten können, hängt entscheidend von unserem zukünftigen Wachstumspfad ab. Denn auch beim Wachstum wirkt der Zinseszinseffekt. Ob ein Arbeitsleben lang (40 Jahre) das Wachstum ein oder drei Prozent betrug, entscheidet darüber, ob bei Renteneintritt der allgemeine Wohlstand um 50 Prozent oder um 300 Prozent im Vergleich zu Beginn des Arbeitslebens gestiegen ist. Und von diesem Wohlstand hängt die Rentenhöhe ab. Denn ausgezahlt werden kann nur, was erwirtschaftet wird.
Aber Wachstumspolitik wird vom Wähler selten honoriert. Es müssen Pfründe genommen werden, um neues Branchenwachstum auszulösen (etwa bei Telekommunikation, Energie und Mobilität), und bisweilen müssen auch Interessen beschäftigter Arbeitnehmer ignoriert werden, um Nicht-Beschäftigte in den Arbeitsmarkt zu bekommen. Das Bessere war schon immer der Feind des Guten. Problem: “Das Gute” ist organisiert und kämpft häufig erfolgreich gegen die Veränderung. Bestes Beispiel: die Schulbildung.
2. durch Bildung
Wissen ist der wichtigste Wohlstandsbringer für jedes rohstoffarme Land. Darüber sind sich alle einig. Und: Wissen entsteht aus Bildung. Bildung aber wird in Deutschland vor allem per Staatsmonopol angeboten.Wenn wir aber glauben, dass der Wettbewerb konstituierend für die Marktwirtschaft ist und die Marktwirtschaft die Grundlage unseres Wohlstands: Warum schließen wir Wettbewerb beim wichtigsten Wohlstandsbringer, dem Wissen, dann weitgehend aus?
Über das Thema “mehr Wettbewerb bei der Schulbildung” gibt es keine gesellschaftliche Debatte. Die Politik rührt das Thema nicht an. Sie will sich nicht mit jenen (vielen) anlegen, die sich im staatlichen Bildungssystem eingerichtet haben.
Dabei wäre so viel zu gewinnen. Schüler und Eltern wären in einem wettbewerblichen Bildungsystem die Gewinner. Sie könnten die für sie besten Bildungsangebote auswählen. In Konkurrenz würden dagegen die Bildungsanbieter stehen. Die würden im Wettbewerb um die Schüler und deren Eltern gezwungen, ihr Angebot stetig anzupassen und zu verbessern. Ein Angebot, das zu den individuellen Befürfnissen der Schüler passt. Es würde um sie geworben werden, mit guter Bildung, mit dem Versprechen der Freude am Lernen, mit individueller Pädagogik. Das Wissen, das daraus erwachsen würde, wäre die verlässliche Basis für ein finanziell sorgenfreies Leben.
3. durch Arbeitseinkommen mittels Partizipation
Wohlstand entsteht in der Marktwirtschaft durch Austausch. Der eine hat oder kann etwas, was ein anderer braucht. Dieser Austausch generiert Wohlstand und Einkommen. Umgekehrt heißt das: Wem der Austausch verwehrt wird, der ist von Armut bedroht. Mindestlöhne schließen ebenso einen Teil der Erwerbsbevölkerung aus, wie die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Weil schlicht alle, die zu herrschenden Lohnbedingungen keinen Job finden, eben auch kein Arbeitseinkommen erzielen. Die Freiheit, sich bei der Lohnfindung zu Koalitionen zusammenzuschließen, um seine Interessen besser durchsetzen zu können, darf nicht dazu führen, jene, die dieser Koalition nicht angehören wollen, in Sippenhaft nehmen zu können.
4. indem die Reichen ihren Reichtum behalten dürfen
Der Mensch denkt als erstes an sich. Das ist kein Egoismus, das ist berechtigte Eigenliebe. Eine Gesellschaft prosperiert deshalb immer dann, wenn das Verfolgen eigener Interessen nicht zum Schaden der Allgemeinheit ist. Die Marktwirtschaft geht über dieses Ziel hinaus: Sie verhindert nicht nur Schädigungen, sondern schafft stets und systemimanent Win-Win-Situationen. Denn wer freiwillig tauscht, macht dies eben nur, wenn es sich für ihn lohnt. Jedes Geschäft stellt also immer mindestens zwei Seiten besser.
Diese Besserstellung darf der Staat im Nachgang nicht wieder minimieren oder gar eliminieren, etwa in Form eines hohen Steuersatzes. Sonst unterbleibt der Austausch. Der Anreiz, Leistung zu bringen, weil die positiven Folgen vorwiegend dem zufallen, der die Leistung erbraucht hat, ist zentral für eine Gesellschaft, die möchte, dass Wohlstand aus freien Stücken entsteht.
Wir haben heute noch rund 50 Prozent dessen, was wir an Einkommen erhalten, zur freien Verfügung. Man kann darüber diskutieren, ob das viel oder wenig ist, unstrittig ist, dass der Anreiz mehr zu leisten sinkt, je weniger des bezahlten Tauschbetrags beim Empfänger bleibt.
5. dadurch, dass den wirklich Bedürftigen geholfen wird
Die Politik spricht gerne von Gerechtigkeit – und meint damit nicht selten eine Bevorteilung jener Gruppen, die sie als Wähler zu gewinnen hofft. Die Bedürftigeren der Bedürftigen haben bisweilen keine Stimme, keine Lobby. Weil sie zu schwach sind, sich zu organisieren. Sie leiden an Abhängigkeiten oder haben geistig unterdurchschnittliche Fähigkeiten. Rollstuhlfahrer kommen mittlerweile gut durch Großstädte, weil sie ihre Interessen gebündelt adressieren können. Aber wie viel politisch organisierte Unterstützung erhalten auf der Straße lebende Alkoholiker oder – noch schlimmer – jene Menschen, die den öffentlichen Raum meiden, die in kleinen Wohnungen vor sich hinleiden? Wirkliche Armutsbekämpfung würde die Umverteilung von der rechten in die linke Hosentasche beenden und sich denen zuwenden, die zu schwach sind, sich am politischen Willensbildungsprozess zu beteiligen.
Was aber nicht heißen soll, dass Menschen nicht grundsätzlich Eigenverantwortung zugemutet werden darf. Denn die Eigenverantwortung ist die Kehrseite der Freiheit. Diese Eigenverantwortung darf der Staat bisweilen auch erzwingen. Um Trittbrettfahrer-Verhalten zu verhindern. Denn das Wissen darüber, dass bei fehlender Vorsorge oder zu hohem Risiko im “Schadensfall” die Gesellschaft einspringt, führt zur Maximierung des Eigennutzens auf Kosten der Gesellschaft. Das gilt im Großen, etwa in der Ausprägung diverser Bankenpleiten, wie im Kleinen. Deswegen braucht es die generelle Verpflichtung, dass jeder für jene Zeit vorzusorgen hat, in der er seinen Lebensunterhalt nicht mehr selbst verdienen kann. In Deutschland ist dieses System löchrig. Die Politik wird sich nicht leicht tun, diese Löcher zu schließen.
Vor allem aber: Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass Vorsorge möglich ist. Sie muss dafür umdenken und Armut vor alle als Folge verbauter Möglichkeiten sehen. Dieser Blick schafft neue Wege der Armutsvermeidung. Wo Menschen mehr Chancen haben, wächst die Eigeninitiative. Niemand ist gerne abhängig. Jeder möchte autonom leben. Politik als Befähigung zum freien Leben. So sollte Armutsbekämpfung in erster Linie gedacht werden. Dann haben wir auch genügend Ressourcen, um jenen umfänglich zu helfen, die vom Schicksal getroffen werden.
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Das nicht. Aber je mehr Arbeitnehmer, die sonst in diesen Jobs gelandet wären, durch Bildung für anspruchsvollere Berufe geeignet werden, um so mehr steigt tendenziell die Entlohnung in diesen geringer qualifizierten Jobs. Oder sie stehen dann mehr den Leuten zur Verfügung, für die sie einen echten Gewinn darstellen (gibt es auch, man schaue nur mal weiter nach Osten…).
Und mit dem Mindestlohn gibt es den Schuhputzer nicht mehr. Weil er arbeitslos ist. Glückwunsch?
Um so höher die Abgabenlast, um so weniger hat der Friseur Grund, in eine Änderung zu investieren.
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Das kann ich so nicht nachvollziehen.
“Bildung”
1.) Das ist ein übles und überstrapaziertes Terrain. Bei weniger verdienenden – dem klassischen niedrigen Lohnsektor – handelt es sich um Hotelgewerbe, Reinigungskräfte, Landwirtschaft, Friseuren und anderen nicht gut technisierbaren Berufen welche auch mit einem Diplom im Betten beziehen nicht mehr Lohn erbringen. Weshalb jeder Friseur den Meisterbrief anstreben sollte ist ebenfalls nicht nachvollziehbar – die Haare sehen danach nicht besser aus.
“Mindestlohn”
2.) Ja, der Mindestlohn kostet etwas, und zwar potentiell (je nach Höhe und Umstände) “Arbeitsbereiche”. Und das korrespondiert und kollidiert [frontal] mit dem Arument “Bildung” darüber. Ohne Mindestlohn (oder einer Mindestanforderung) gäbe es womöglich den Schuhputzer noch. Das wäre kein Problem – wenn er davon Leben könnte [=Nettolohn]. Eine höhere Bildung hilft ihm dabei jedoch (explizit) so wenig wie dem Spargelernter oder o.a. Friseur!
“…Reichtum muss bleiben…. unstrittig ist, dass der Anreiz mehr zu leisten sinkt, je weniger des bezahlten Tauschbetrags beim Empfänger bleibt…”
Dieses Argument erschliesst sich mir in dem Zusammenhang mit Armutsrenten überhaupt nicht. Ohne etwas zu ändern hat ein Friseur weder für die Arbeit noch gar in der Rente mehr Geld.
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