Sehr geehrter René Scheu,
wenn es stimmt (und ich zweifle nicht daran), dass selbstlernende Algorithmen im Internet dafür sorgen, “dass wir uns im Netz im Umkreis des Vertrauten bewegen”, wie Sie eindrucksvoll in der NZZ schreiben, und dass bestehende Meinungen “bestätigt und scheindemokratisch überhöht”, während abweichende “geahndet und übertönt” werden. Wenn es also stimmt, dass das Internet uns zu unkritischen Menschen erzieht, weil kritische, von uns abweichende Meinungen uns nicht mehr erreichen, dann frage ich mich, warum wir dies zulassen. Ist uns das Streben nach Zugehörigkeit wichtiger als die Suche nach der Wahrheit?
Denn grundsätzlich ist die von Ihnen treffend beschriebene Entwicklung kein Automatismus. Denn die Algorithmen, nach denen uns im Internet Inhalte angezeigt werden, sind ja menschengemacht. Sie sind konstruiert. Würden die Menschen andere Sichtweisen, gegensätzliche Positionen, gegenteilige Meinungen schätzen, würden die Algorithmen uns solche Inhalte anbieten. Oder anders gesagt: Gibt es zunehmend Wahrheitssucher, werden sich auch die Algorithmen ändern. Artikel wie der Ihre helfen bei der Bewusstwerdung, dass der Zugewinn an Sicherheit (mehr Zugehörigkeit), einen hohen Preis hat (wir landen, wie sie bildhaft schön schreiben, im “Echobunker”).
Man kann warten, bis eine Gegenbewegung sich Bahn bricht. Man kann auch selbst Teil der Bewegung werden. Vielleicht mit einer Plattform, deren Geschäftsmodell auf der Wahrheitssuche basiert. Nicht als Wissenschaft, als Wahrheitssuche für jedermann. Inklusive Algorithmen. Wo einer angezeigten Meinung eine gegenteilige folgt und so jeder User seine eigene Meinung messen, vergleichen, ändern kann.
Vielleicht wäre dies keine Plattform für den täglichen Gebrauch. Der Mensch liebt Gewissheiten. Darauf fußt die Selbstverständlichkeit des täglichen Lebens. Aber die gelegentliche Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem Unbekannten, dem Neuen, ist ebenso lebensnotwendig. Denn nur die Veränderung macht das Leben dauerhaft interessant. Die Chance auf eine Weiterentwicklung des Internets in diesem Sinne halte ich deshalb für nicht gering.
Auf die Zukunft freuend
grüßt der
Pixelökonom