
Die Erkenntnis, warum die Geburtenrate in allen Wohlstandsgesellschaften jahrzehntelang gefallen ist, rührt an ein Tabu. Das Tabu besteht darin, Kinder nicht als das größte Glück der Erwachsenen zu bezeichnen. Dass sie etwas anderes als die Erfüllung jeder Paar-Beziehung sein könnten.
Denn tatsächlich ist die Geburtenrate maßgeblich von zwei Determinanten bestimmt, die zunächst wenig schmeichelhaft klingen: der Bedeutung von Kindern für die eigene Altersvorsorge und dem Verzicht, der Kinder kriegen mit sich bringt (Ökonomen nennen dies Opportunitätskosten).
Und so hat in den letzten mehr als hundert Jahren zunächst die Einführung der Sozialversicherung (übertrug das Lebensrisiko “Alter” von der Familie auf die Gesellschaft) sowie die Zunahme an Lebensgestaltungsalternativen (vor allem für Frauen) die Geburtenrate drastisch fallen lassen.
Die Lösung der Probleme wurde durch das Tabu erschwert: Wer nicht zugibt, dass es bessere Alternativen zum Kinder kriegen gibt, kann nicht daran arbeiten, diese Alternativen mit dem (unbestreitbaren) Kinderwunsch zusammenzubringen. Diese Erkenntnis hat sich mittlerweile Bahn gebrochen. Das Elterngeld zum Beispiel ist eine Antwort darauf. Der Steuerzahler zahlt Eltern Teile des Einkommens, das sie ohne Kind erwirtschaften würden.
Hinzu kommt: Der wachsende Wohlstand kehrt die Entwicklung selbst um. Trug der Wohlstandsanstieg früher dazu bei, die Geburtenrate zu senken, erhöht er sie nun. Weil großer Wohlstand die Möglichkeiten der Außer-Haus-Betreuung zunehmen lässt und weil, wer viel verdient, es sich leisten kann, etwas weniger zu arbeiten (Stichwort: 4-Tage-Woche), um so mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen zu können.
Der Familiensoziologe Johannes Huinink, Professor an der Universität Bremen, vermutet zum Beispiel, dass Frauen wieder mehr Kinder bekommen werden und die Geburtenrate von 1,4 im Jahr 2013 langfristig wieder auf 1,7 ansteigt.
Die Sorge, dass unsere Gesellschaft – ob zu weniger Geburten – ausstirbt, ist also einigermaßen unbegründet. Zumindest dann, wenn die Probleme erkannt werden (wollen), die richtigen Schlüsse gezogen und die richtigen Anreize gesetzt werden. Auch die Zahl der Geburten ist eine Frage guter Ordnungspolitik.
Warum ich das hier alles schreibe? Weil ich auch mal Recht haben will. Weil ich diese Entwicklung 2010 prognostiziert habe, siehe: “Weil wir Kinder lieben: Weshalb die Geburtenrate wieder steigen wird“. ;-)
Vielleicht sollte man es machen wie die Franzosen. Dort bezahlt jemand aus der Mittelschicht mit 3-4 Kindern praktisch keine Einkommensteuer mehr. Damit schlägt man mindestens zwei Fliegen mit einer Klappe: Es gibt wieder deutlich mehr Kinder und Arbeit wird nicht mehr bestraft.
Die Geburten in Deutschland sind immer noch sehr gering. Frankreichs Fertilitätsrate liegt bei 2,0-2,1. Deutschland liegt bei 1,3-1,4. Frankreichs Fertilitätsrate ist die positive Ausnahme in Europa. Fast alle anderen Ländern liegen eher auf dem Niveau von Deutschland.
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