Studie mit Sprengkraft: Integration geht nur ohne Mindestlohn

Arbeitende Migranten // Foto: Bob Jagendorf (CC BY-NC 2.0)

“Der Mindestlohn in Deutschland ist eine zentrale Integrationsbarriere”, so lautet eine Kernaussage der Studie “Migranten im deutschen Arbeitsmarkt: Löhne, Arbeitslosigkeit, Erwerbsquoten” (.pdf) der beiden Wissenschaftler Michele Battisti und Gabriel Felbermayr. Das Paper hat politische Sprengkraft, denn die Mitglieder des Center of Excellence for Migration and Integration Research (CEMIR) haben erstmals erste Erkenntnisse über den Bildungsstand der Flüchtlinge mit der aktuellen Situation am deutschen Arbeitsmarkt zusammengebracht.

Schon bisher war klar: Wer integrieren will, muss die Zugewanderten in Beschäftigung bringen. Und zu vermuten war, dass der Mindestlohn die Arbeitsaufnahme vielfach verhindern wird, weil es bei vielen Migranten an passenden Qualifikationen fehlt.

Die empirische Evidenz vermittelt nun eine erste Vorstellung über das Ausmaß des Problems. Battisti und Felbermayr verbinden das vorhandene Wissen über die Menschen des Flüchtlingsstroms mit den Erkenntnissen über den hiesigen Niedriglohnsektor. Dank Umfragen in Flüchtlingslagern in der Türkei wissen wir über die ankommenden Syrer folgendes: Ein Viertel hat keinen Schulabschluss, ein Drittel hat nur die Grundschulzeit absolviert und weniger als 10 Prozent haben eine Hochschulausbildung.

Und die Erfahrung zeigt, dass Einwanderer, die in der Vergangenheit nach Deutschland kamen

  • fast doppelt so stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind wie Einheimische und
  • dass fast 50 Prozent der in den letzten fünf Jahren aus Ländern außerhalb des westlichen Kulturkreises zugewanderten Menschen im Alter von 25 bis 55 Jahren im Jahr 2013 einen Stundenlohn unter dem damaligen Äquivalent des heutigen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde verdienten. Für Einheimische betrug der Anteil 12 Prozent.

Die naheliegende Vermutung: Der gesetzliche Mindestlohn seit Jahresbeginn und das Qualifikationsniveau der Zugewanderten wird die Lage am Arbeitsmarkt deutlich verschärfen.

Die Wissenschaftler schreiben denn auch:

Ein erheblicher Anteil der Flüchtlinge wird kurz- bis mittelfristig kaum in der Lage sein, eine durchschnittliche Wertschöpfung durch Arbeit in der Höhe von mindestens 8,50 Euro zu erzielen. Das macht unsere empirische Analyse auf Basis der SOEP-Daten nur allzu deutlich. Es besteht daher die Gefahr, dass diese Menschen in Deutschland ohne legale Beschäftigung bleiben, eine dauerhafte Belastung für die Sozialsysteme des Landes darstellen und letztlich nicht in die deutsche Gesellschaft integriert werden, wenn der Mindestlohn bestand hat.

Vor diesem Hintergrund erweise sich die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes von 8,50 Euro als eine gefährliche Hypothek, heißt es in dem Paper weiter.

Eine einfache Ausweitung der Mindestlohnausnahmen für Flüchtlinge halten die Wissenschaftler aber mindestens für gefährlich:

Eine Ausnahme von Flüchtlingen aus diesem Gesetz würde indes kontraproduktiv wirken. Die billigeren ausländischen Arbeitskräfte würden einheimische Arbeitnehmer, die weiterhin mit 8,50 Euro zu entlohnen wären, allzu häufig in die Arbeitslosigkeit verdrängen.

Die Wissenschaftler fordern deshalb nicht mehr Ausnahmen, sondern eine Abschaffung des Mindestlohns.

Nicht mehr als “ein Tropfen auf den heißen Stein” wäre für die Wissenschaftler auf eine Anhebung des Mindestlohnes in den kommenden Jahren zu verzichten. Bei der derzeit geringen Inflationsrate von deutlich unter 2 Prozent würde eine Absenkung des Realwertes des Mindestlohns um 10 Prozent mindestens fünf Jahre brauchen.

Eine hilfreiche weitreichende Ausnahme sehen die Wissenschaftler allerdings in einem Mindestlohn, der sich auf Personen beschränkt, die hinreichend lange in der EU gearbeitet haben. So könne man zum Beispiel eine zehnjährige aktive Berufstätigkeit in der EU voraussetzen, bevor der Mindestlohn greife.

Ich halte den Vorschlag für bedenkenswert, weil

  • er politisch leichter durchsetzbar ist als eine enge Ausnahme vom Mindestlohn für Flüchtlinge. Denn es stünden die Flüchtlinge nicht in direkter Konkurrenz zu den Einheimischen, da von der weitergefassten Ausnahme ja auch die jüngeren Einheimischen profitieren würden.
  • die Ausnahme treffsicher wäre, da es sowohl bei jungen Menschen als auch bei Zuwanderern besonders häufig an Qualifikationen (noch) fehlt und sie daher in Folge des Mindestlohns besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen sind.

Kombiniert mit einer Abschaffung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge (die jüngste Novelle des Asylrechts hält weiter an einer Frist von 15 Monaten fest) könnte aus der Durchhalteparole “Wir schaffen das” ein ökonomischer Plan werden. Denn “Integration kann nur gelingen,” schreiben Battisti und Felbermayer am Ende ihres Papers, “wenn die Migranten arbeiten dürfen und die Wirtschaft in der Lage ist, sie gewinnbringend zu beschäftigen.”

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3 thoughts on “Studie mit Sprengkraft: Integration geht nur ohne Mindestlohn

  1. Angenommen der Vorschlag würde angenommen und der Mindestlohn entfiele – ich sehe die Gefahr des Lohndumpings und die Abhängigkeit vom Sozialstaat. Wenn ein Flüchtling für 4€/Std. arbeitet, kann er nur zurechtkommen, wenn ihm mindestens die Unterkunft bezahlt wird oder er mehr als 16 Stunden pro Tag arbeitet. Das Argument ist zwar theoretisch schlüssig, aber ich halte die Umsetzbarkeit für schwierig. Gerade bei der Anzahl an Menschen, die hier ankommen, drückt die hohe Konkurrenz für low-value-Arbeit zusätzlich die Löhne.

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    1. Der Lohndruck steigt, bestimmt. Aber die Alternative ist: Arbeitslosigkeit. Und für das Problem, dass das Einkommen die Existenz nicht sichert, gibt es kurzfristig die Möglichkeit der Aufstockung und mittelfristig die der Qualifikation.

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