
Nach dem Streik ist vor dem Streik. Gestern war (wieder einmal) Streiktag bei der Deutschen Bahn (Berlin war besonders betroffen, da die S-Bahn ebenfalls von der Deutschen Bahn betrieben wird), heute ist der Flugverkehr dran.
Beiden Streiks gemein ist, dass jeweils jene streiken, ohne die nichts geht: Lokführer und Piloten.
Macht bringt Wohlstand, könnte man sagen. Zumindest erhöht es die Chance, bei der Verteilung des Erwirtschafteten ein großes Stück zu erhalten. Der Eisverkäufer im Zug hat diese Möglichkeit nicht. Streikt er für einen höheren Lohn, dann wird eben kein Eis verkauft – oder es findet sich ein anderer, der den Job macht.
Die Höhe der Entlohnung hängt in einer Marktwirtschaft also auch von der Verhandlungsmacht ab. Je größer der (wirtschaftliche) Schaden einer “Arbeitsniederlegung”, desto mächtiger die Arbeitnehmer. Und weil die Macht der Lohndurchsetzung je nach Berufsgruppe unterschiedlich ist, gibt es die Tendenz, dass Berufsgruppen mit großer Macht diese ausschließlich für die Durchsetzung ihrer eigenen Interesse nutzen. Die Möglichkeiten der Lohnsteigerung sind so schlicht größer. Deswegen gibt es Gewerkschaften für Lokführer (GDL), Piloten (Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit) und Ärzte (Marburger Bund).
Die Politik möchte im Schulterschluss mit den großen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden diese Entwicklung per Gesetz beenden. Die Argumentation ist eine kollektivistische: Um Schaden in Form negativer Folgen der Streiks für die Gemeinschaft abzuwenden, sollen die Rechte der Arbeitnehmer reduziert werden.
Im Wesentlichen geht es darum, dass für die Beschäftigten eines Betriebs nur ein einziger Tarifvertrag angewendet wird. Profitieren würden davon die großen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände (deshalb der – nicht ganz einfache – Schulterschluss mit der Politik) und jene Mitarbeiter in Unternehmen mit wenig Verhandlungsmacht.
Die Lokführer bei der Bahn müssten dann zusammen mit dem Zugpersonal einen Tarifvertrag aushandeln. Die Folge, so argumentiert die Politik, wäre weniger Streiks (weil es weniger Tarifverträge gibt). Jene mit der höchsten Streikmacht (Lokführer, Piloten) halten davon freilich wenig (siehe auch: Was Lokführer und Piloten verdienen).
Die Beschränkung der individuellen Freiheit (freie Wahl der Interessenvertretung) zugunsten des großen Ganzen (weniger Streiks) – das entspricht nicht dem freiheitlichen Menschenbild der Marktwirtschaft. Der Würzburger Wirtschaftsprofessor Norbert Berthold hat dies anschaulich auf dem Blog “Wirtschaftliche Freiheit” dargelegt – und die Alternative aufgezeigt:
“Wer Angst vor Spartengewerkschaften hat, sollte dafür Sorge tragen, dass der Wettbewerb auf den Absatzmärkten entfesselt wird.”
Denn:
“Die Erfahrung zeigt, Spartengewerkschaften gedeihen dort am besten, wo der Wettbewerb auf den Produktmärkten wenig intensiv ist. Das ist im Verkehrssektor, in der Gesundheitsbranche und in der Daseinsvorsorge der Fall.”
Um die Macht von Spartengewerktschaften zu verhindern, bräuchte es demnach nicht weniger sondern mehr Wettbewerb. Und zwar auf Produktmärkten ebenso wie bei kollektiven Lohnverhandlungen.
Norbert Berthold plädiert für mehr Möglichkeiten betrieblicher Tarifverträge:
“Der Sinn von mehr individueller vertraglicher Freiheit besteht darin, dass die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern besser getroffen werden. Das ist bei betrieblichen Bündnissen für Arbeit der Fall. Die Welt der Unternehmen ist heterogener geworden. Passgenauere betriebliche Lösungen sind notwendig, um sich der immer intensiveren weltweiten Konkurrenz zu erwehren. Das gilt auch für die Lohn- und Tarifpolitik. Tarifliche und gesetzliche Öffnungsklauseln sind eine mögliche Antwort.”
Allerdings: Es gibt ein ordnungspolitisches Argument, das für die Tarifeinheit spricht. Nämlich dass die Macht der Spartengewerkschaften nicht allein Folge eines freien Marktes für Zusammenschlüsse von Arbeitnehmerinteressen ist, sondern selbst Ergebnis eines Markteingriffs. Denn das Streikrecht gibt Arbeitnehmern eine Macht (nämlich entgegen vertraglicher Verpflichtung Arbeit niederlegen zu können, ohne dafür vom Unternehmen zur Verantwortung gezogen zu werden), die sie in einem freien Markt so nicht hätten.
Braucht es folglich einen Eingriff in den Markt (mittels eines Gesetzes zur Tarifeinheit), um einen anderen Eingriff (Streikrecht) zu korrigieren? Dieser Argumentation folgt etwa Dietrich Creutzburg von und in der FAZ.
Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass ein zweiter Markteingriff nötig ist, um die negativen Folgen eines ersten zu korrigieren. Wäre es nicht besser, das Streikrecht so zu reformieren, dass eine zweite Korrektur erst gar nicht notwendig wird?
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One thought on “Recht auf Streik: Nutzen Lokführer und Piloten die Marktwirtschaft aus?”