Der Mensch ist bekanntlich mehr als der stilisierte Homo Oeconomicus der Wirtschaftswissenschaften, mehr als ein stets auf sein kurzfristiges Wohl bedachter Egoist.
Obwohl.
Denke ich an die Bolzplätze meiner Kindheit, gab es ihn bisweilen doch: Der Spieler, der den Ball, war er erst einmal bei ihm angekommen, nicht wieder hergab. Keiner wollte mit solchen Spielern in einer Mannschaft sein. Weil sie nur eines kannten: den direkten Weg zum Tor, egal wie weit es weg war, egal wie viele Gegner es zu umspielen galt. Man konnte mit ihnen nicht spielen, man konnte mit ihnen nicht gewinnen – doppeltes Fußball-Leid. Die Genugtuung kam erst später: Wenn ich mich recht erinnere, wurde keiner von ihnen auch nur ein lokaler Fußballheld. Im Verein war für solche Spieler meist nur auf der Ersatzbank Platz.
Auf dem Fußballplatz lernt man also (zumindest die meisten) wie wichtig Kooperation ist. Man muss geben, um zu bekommen. Dieses Lernen ist intuitiv und die Erkenntnis offensichtlich, dass für den langfristigen Erfolg vor allem eines wichtig ist: den Ball abgeben zu können.
Es ist nämlich eine Besonderheit des Fußballspiels, dass man den Ball nicht wirklich besitzen kann. Außer dem Torwart (der darf den Ball maximal 6 Sekunden festhalten) darf niemand den Ball in die Hand nehmen, er kann deshalb nie wirklich beherrscht werden, Ballverlust ist die stetige Gefahr. Wer Ball und Gegner kontrollieren will, muss, spätestens wenn er bedrängt wird, den Ball zum freien Mitspieler passen.
Der Fußballspieler muss also in der Lage sein loszulassen, aus dem Scheinwerferlicht durch Ballabgabe treten können. Egoisten fällt das schwer.
Und es geht noch weiter. Der perfekte Fußballspieler zeichnet sich neben motorischem Können dadurch aus,
- in kürzester Zeit richtige Entscheidungen zu treffen und
- diese Entscheidungen von jedem Eigeninteresse zu befreien.
Letzteres ist die Voraussetzung für Ersteres: Nur wer rational die Vorteile des Solos gegenüber dem Passspiel abwägen kann, gewinnt die meisten Spiele, ist also auf Dauer erfolgreich. Wer sich dagegen selbst zu wichtig nimmt, fällt falsche Entscheidungen. Er wird auf dem Platz häufig so handeln, dass er selbst im guten Licht steht (eigener Torerfolg) – auf Kosten des Mannschaftserfolgs (viele Ballverluste bei Alleingängen).
Bastian Schweinsteiger hat bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien (nicht nur dort) diesen Idealtypus des kooperativen Spielers verkörpert. Jede seiner Entscheidung scheint auf einer einzigen Fragestellung zu basieren: Was macht das Team erfolgreich? Auch deswegen taugt er zum Helden, deren herausstechendes Merkmal bekanntlich darin besteht, sich für die anderen zu opfern.
Man würde allerdings das Fußballspiel falsch verstehen, wenn man glaubt, es ginge im Kern darum, sich für andere hinzugeben. Fußballspieler müssen egoistisch sein. Der Wunsch nach persönlichem Erfolg macht die Strapazen erträglich. Was es für den Erfolg aber eben auch braucht, ist die Erkenntnis, dass das stetige eigene Zurücknehmen (Ball abspielen und sich dabei für den Augenblick aus dem Rampenlicht nehmen) dauerhaft zum Erfolg führt, dass also – ökonomisch gesagt – Kooperation letztlich auch den eigenen Nutzen mehrt.
Kurzfristig zurückstehen, um langfristig Erfolg zu haben – diese Verhalten ist auch ein Zeichen von Erwachsen sein. Auch insofern ist die deutsche Fußball-Nationalmannschaft erwachsen geworden, musste wachsen, um Weltmeister zu werden.
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