Die Menschen rund um den Globus leben bekanntermaßen unter unterschiedlichsten Bedingungen. Vielen fehlt es am notwendigsten. 870 Millionen Menschen leiden weltweit an Hunger. Wir beklagen dies, wir leiden mit den Leidenden, wir fordern von der Politik die Abschaffung des Hungers. Aber was tun wir selbst?
Wir kaufen unsere Lebensmittel beim Biolandwirt, der am Rande des Speckgürtels der Großstadt anbaut (“Buy local think global”), und T-Shirts aus Bangladesch (Pro und Contra zu Primark) kommen uns nicht mehr in den Kleiderschrank, weil wir uns nicht vorstellen können, dass Menschen, die in schlecht gelüfteten Fabriken Kleidung nähen, dies freiwillig tun. Und weil wir uns das Leben dieser Menschen kaum noch vorstellen können, nennen wir deren Verdienst Hungerlohn. Dabei ist er häufig das Gegenteil: Diese Einkommen helfen den Hunger stillen. Und die Arbeit in solchen Fabriken ist offensichtlich für viele die beste der vorhandenen Alternativen.
Handel mit den Ärmsten würde die Ärmsten also weniger arm machen. Stattdessen lassen wir uns von von jenen verblenden, denen Handel Gefahr ist. Und so trägt die demokratische Mehrheit Gesetze mit (etwa die protektionistische EU-Agrarpolitik), die verhindern, dass der Hunger der Welt mit dem besten aller Mittel bekämpft wird: mit freier Lebensgestaltung in Form freien Handels. Denn wer das mit der eigenen Hände Arbeit Erschaffene denen verkaufen kann, denen es nutzt, braucht kein Mitleid, er hat Einkommen.
Wir beschränken nicht nur den Handel. Wir beschränken auch die Freiheit der Menschen selbst. Indem wir Grenzen ziehen. Und wir fühlen uns im Recht, wenn wir (mit Gewalt) verhindern, dass andere Menschen diese Grenzen überschreiten. Woher aber nehmen wir das Recht zu bestimmen, wer sich auf dieser Erde wo aufhält?
Wo kämen wir hin, sagen jene, die vor (zu viel) Einwanderung warnen, wenn jeder der wollte, in unser Land kommen könnte? Ja wo kämen wir hin? Erich Weede, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Bonn, geht in einem lesenswerten FAZ-Artikel dieser Frage nach. Und er geht weiter: Er fragt nach der moralischen Rechtfertigung der Grenzziehung.
Offene Grenzen, so Weedes Überzeugung, würden die “gigantische Armut verringern”.
“Wenn jeder Mensch unabhängig von Herkunft, Staatsbürgerschaft oder sonstigen staatlichen Restriktionen überall seine Arbeitskraft anbieten dürfte, dann müsste die Länderkomponente der Ungleichheit zwischen den Menschen deutlich an Gewicht verlieren, dann könnten viele Menschen schon bald bitterer Armut entkommen.”
Wenn aber offene Grenzen die beste Armutsbekämpfung sind, gibt es dann überhaupt eine Rechtfertigung für geschlossene Grenzen? Der Egoismus, sagt Weede.
“Eine denkbare Verteidigungslinie gegen die Forderung nach bedingungsloser Öffnung der Grenzen der reichen Länder für arme Zuwanderer ist, dass man offen zugibt, dass jeder sich selbst der Nächste ist, dass die Bürger und Wähler der westlichen Wohlstandsinseln schon mit Rücksicht auf ihre einkommensschwächsten Mitglieder einen bedingungslosen Zuzug nicht zulassen können.”
Egoismus als alleinige Begründung aber passe nicht zum Wesen des Menschen, so Weede weiter. Der Mensch sei “altruistischer, als es einfache Versionen der ökonomischen Theorie behaupten.” Und so kommt Weede zu einer zweiten Rechtfertigung.
Es bestehe Einigkeit darüber, dass der Reichtum der Länder an Faktoren liege, die diese Menschen selbst geschaffen hätten. Diese Faktoren seien
- die Institutionen der Länder,
- die sozialen Normen,
- die dominanten Verhaltensweisen,
- die Kultur,
- die Traditionen,
- die Sicherheit der Eigentumsrechte und/oder
- das Ausmaß der wirtschaftlichen Freiheit.
In diesem (und nur in diesem Sinne) seinen verschiedene Institutionen und Kulturen nicht gleichwertig. Manche produzierten mehr Wohlstand als andere. Möglicherweise, so Weede weiter, würden viele Zuwanderer nur am Wohlstand partizipieren wollen, ohne “die Bereitschaft zur Übernahme oder auch nur Respektierung westlicher Werte”.
Zu fragen wäre dann, so folgert der Soziologe, ob die Institutionen der reichen Länder des Westens eine Massenzuwanderung schadlos überstehen würden. Verneint man diese Frage, könnte durch eine massenhafte Zuwanderung der Wohlstand in Zukunft abnehmen, was eine Begründung für nicht-offene Grenzen sein könnte. Denn von weniger Wohlstand hätten weder die Einwohner der reichen Länder noch Zuwanderer etwas. Insofern ließe sich “die Begrenzung der Massenzuwanderung auch unter universell humanitären Gesichtspunkten rechtfertigen”.
Wichtig scheint mir: Weede ist nicht gegen Zuwanderung, vielmehr fordert er eine maximal hohe Zuwanderung, was auch daran deutlich wird, dass er offenere Schranken fordert.
“Obwohl unser Erkenntnisstand meines Wissens keine Angabe der Gefährdungsschwellen für Zuwanderung in westliche Gesellschaften erlaubt, habe ich nicht den Eindruck, dass westliche Länder diese Schwellen schon überschritten haben.”
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2 thoughts on “Satt und leidend: Wie wir das Elend der Welt vergrößern”