Sprache wird bekanntlich auch, wenn nicht sogar vor allem, dafür eingesetzt, eigene Interessen durchzusetzen. Worte in Schrift und Sprache sind ein Machtinstrument. Wer damit umgehen kann, ist im Vorteil.
Besonders in der Demokratie beruht Politik auf der Macht von Worten. Schließlich muss die Mehrheit der Wähler überzeugt werden. Nur dann kann der Politiker (mächtiger) Politiker bleiben.
Das Problem in der Demokratie: Der Wähler hat nur bedingtes Interesse an den Worten der Politiker. Denn der Einfluss jedes einzelnen Wählers ist gering (Wählen am Wahltag), der Aufwand der Meinungsbildung lohnt also kaum. Deshalb nehmen sich die meisten Menschen für Politik – verständlicherweise – wenig Zeit.
Für den Politiker heißt das: Er muss in wenigen Sätzen seine Argumente überzeugend vortragen können. Am effektivsten wird Wortmacht, wenn nicht Sätze, sondern Begriffe Deutungshoheit schaffen.
Als (wieder)einmal die Reform der Finanzierung der Krankenversicherung in Deutschland diskutiert wurde, hatte die Union spätestens an der Stelle verloren als sich für ihre Idee in den Medien der Begriff “Kopfpauschale” etabliert hatte. Kopfpauschale, das klingt nach Kopfgeld. Das kann nichts Gutes sein. Bei der Mindestlohn-Debatte verhält es sich ähnlich. Wer will schon dagegen sein, dass Menschen nicht mindestens einen bestimmten Lohn erhalten?
Die Politik sucht und findet immer wieder Begrifflichkeiten, die ihrem politischen Ziel einen freundlichen, positiven Anstrich geben, aktuell etwa bei der von SPD-Chef Sigmar Gabriel losgetretenen Diskussion über die Aufweichung des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Europa dürfe sich nicht kaputt sparen, argumentiert Gabriel. Und: “Das Setzen auf reine Sparpolitik ist gescheitert.”
Dazu die zwei zentralen Fakten zur europäischen “Sparpolitik”:
- Der gesamte Schuldenstand liegt bei 16 EU-Staaten höher als die vereinbarten maximalen 60 Prozent. Auch Deutschland ist mit gut 78 Prozent über dem Maximalwert, Spitzenreiter ist weiter Griechenland mit 175 Prozent.
- Die Neuschulden in der Eurozone weist in der Gesamtheit seit Jahren ein Defizit aus. Auch 2013 (siehe Grafik) reißt die Mehrheit der Staaten die Kriterien von Budgetdefizit (max. 3 Prozent) und strukurellem Defizit (max. 0,5 Prozent).
Wenn aber Staaten mehr ausgeben als sie einnehmen: Wie kann man da von Sparen sprechen, Herr Gabriel? Schließlich ist die Definition von Sparen “das Zurücklegen momentan freier Mittel zur späteren Verwendung”.
Und was Deutschland angeht: Wir werden gerne als Lokomotive Europas bezeichnet, deshalb wirke sich, so eine häufige Argumentation, eine Zurückhaltung bei den Ausgaben negativ auf die anderen EU-Länder aus (“Europas Krisenländer attackieren Merkels Sparkurs“). Aber von welcher Zurückhaltung wird hier gesprochen? Von wenigen Jahren abgesehen, gibt der deutsche Staat Jahr für Jahr mehr aus als er einnimmt (siehe Grafik).
Warum also verwendet die Politik so häufig den Spar-Begriff, wenn doch von Sparen kaum die Rede sein kann? Weil sie Rechtfertigungen für höhere Ausgaben braucht. Beim Wähler punkten wird kein Politiker, der dafür wirbt, den hohen Schulden noch höhere folgen zu lassen. Wer dagegen – wie Gabriel – vorgibt, in der Vergangenheit gespart zu haben, weshalb es jetzt legitim sei, andere Ziele (Wachstum) zu verfolgen, der kann im Meinungskampf punkten.
Gabriel freilich ist kein Einzellfall. Er ist Politik-Mainstream. Denn auch Politiker handeln rational: Nur mit höheren Ausgaben lassen sich größere Wahlgeschenke finanzieren. Ihr Zeithorizont reicht bis zur nächsten Wahl. Gute (Ordnungs)Politik aber braucht Weitblick. Lassen wir der Politik ihre Kurzsichtigkeit nicht durchgehen!
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Gute, wichtige Darlegung.
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