Ausnahmen im Mittelpunkt: Warum die Mindestlohn-Diskussion für die Regierung ein Problem ist

An dem (aller Wahrscheinlichkeit nach) ab 1. Januar 2015 kommenden flächendeckenden Mindestlohn ist eigentlich nur verwunderlich, dass er nicht schon vor Jahren eingeführt wurde. Der Mindestlohn ist ein Gewinner-Thema für die Politik. Die Deutschen wollen ihn.

Denn der Mindestlohn suggeriert Wohltaten. Dass jene mehr Geld bekommen, die wenig haben.

Und im Gegensatz zum Rentenpaket muss die Maßnahme nicht einmal vom Wähler in Form steigender Steuern oder Sozialabgaben gegenfinanziert werden. Bezahlen werden die Unternehmen, zumindest glauben das die meisten (dabei wird ungefähr die Hälfte des durch den Mindestlohn zu erwartenden Lohnanstiegs von den Konsumenten – also allen – in Form höherer Preise bezahlt werden müssen).

An dem Gewinner-Thema Mindestlohn wird die Regierung, allen voran Andrea Nahles, in den kommenden Wochen dennoch wenig Freude haben. An diesem Donnerstag (05. Juni 2014) wird der Gesetzentwurf ihres Arbeitsministeriums im Bundestag in erster Lesung diskutiert werden (siehe Zeitplan unten). Bis zur Verabschiedung Anfang Juli (vermutlich 5. Juli) wird vor allem um Details gerungen werden. Um Details von großer Bedeutung.

Es wird in erster Linie darum gehen, wer zukünftig vom Mindestlohn nicht betroffen sein soll – um die Ausnahmen also.

Zeitplan Gesetz zum Mindestlohn

Die Diskussion um Ausnahmen ist gefährlich für die Regierung. Weil es die Aufmerksamkeit auf die Schattenseite des Gesetzes lenkt. Auf die Verlierer, auf jene, die nach Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns nicht nur nicht mehr bekommen, sondern weniger, viel weniger. Weil sie ihren Job verlieren.

4,6 Millionen Menschen in Deutschland verdienen 2014 weniger als 8,50 Euro pro Stunde, von denen werden durch Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns möglicherweise 570.000 ihren Job verlieren (Quellen).

Mit den Ausnahmen im Gesetzestext sollen nun jene Jobs und Branchen außen vor bleiben, die durch einen flächendeckenden Mindestlohn verschwinden würden. Aber was weiß der Staat schon? Was weiß er von den millionenfachen individuellen Entscheidungen der Menschen? Von den Bedingungen, unter denen sich mindestens zwei Personen finden, um einen Arbeitsbeziehung zu vereinbaren? Oder es eben lassen. Zahlt der Kneipenbesitzer deswegen der Servicekraft 7 Euro die Stunde, weil er für dieses Geld qualifiziertes Personal findet (also nicht mehr bezahlen muss) oder weil bei einem höheren Stundenlohn seine Kosten seine Einnahmen übersteigen würden (also nicht mehr zahlen kann)?

Der Staat jedenfalls kennt die Motivation nicht (immer dort, wo Staaten den  Anspruch der Allwissenheit haben oder gehabt haben, scheitern sie und sind gescheitert). Er tut aber so, als würde er sie kennen, wenn er verkündet, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro gerecht ist. Gerecht aber könnte ein solches Gesetz höchstens sein, wenn der Kneipenbesitzer in der Lage ist, 8,50 Euro zu zahlen. Kann er dies nicht, verliert der Kneipenbesitzer mit der Mindestlohneinführung seine Kneipe und die Servicekraft ihren Job.

Niemand wird das gerecht nennen können.

Gerecht ist, wenn Menschen die freie Wahl haben, unter den gegebenen Bedingungen das für sie Beste zu wählen. Ist etwa die Servicekraft nicht mit der Entlohnung von 7 Euro zufrieden und kann den Kneipenbesitzer nicht zu einem höheren Lohn überreden, wird sie sich nach einer besser bezahlten Stelle umsehen. Ganz ohne Mindestlohn. Findet sie diese nicht, wird sie bei ihren Job bleiben.

Das ist zugegeben nicht das Paradies. Muss der Kneipenbesitzer nach der Mindestlohneinführung seinen Laden aber schließen und die Servicekraft bleibt ohne Alternative, dann ist das Leben für mindestens zwei Menschen schlechter geworden.

Die Diskussion um die negativen Folgen des Mindestlohns möchte Andrea Nahles vermeiden. Sie hat deshalb in ihren Gesetzentwurf nur wenige Ausnahmen geschrieben (Langzeitarbeitslose sollen sechs Monate lang vom Mindestlohn ausgeschlossen bleiben, ebenso Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr und auch Praktika, die kürzer als 6 Wochen sind oder im Rahmen der Berufsausbildung geleistet werden müssen sowie Ehrenamtliche). Sie verhindert damit, dass sie erstens ihre glühendsten Anhänger verliert und begrenzt zweitens das Ausufern der Diskussion. Weil mit jeder neuen Ausnahme-Diskussion das Dilemma des Mindestlohnes deutlich wird, das eben der Mindestlohn zu Jobverlusten führt und gleichzeitig die Ausnahmen neue Ungerechtigkeiten schaffen. Weil Bürokratie der Vielfältigkeit des realen Lebens nicht gerecht werden kann (etwa für den, der am Tag seines 18. Geburtstags seinen Austräger-Job an einen 17-Jährigen verliert).

Die Ausnahmen so gering wie möglich zu halten, ist also politisch verständlich. Den Preis dafür werden jene zahlen, denen man vorgibt, am meisten zu helfen, jene, die für 8,50 Euro die Stunde keine Arbeit bekommen.

Dieser Artikel wurde auch auf dem INSMBlog veröffentlicht

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