Ich hatte ernsthaft darüber nachgedacht, dieses Mal nicht wählen zu gehen. Es wäre mein erstes Mal gewesen. Weil mich aktuell keine Partei überzeugt.
Die CDU nicht, weil sie, obwohl sie an der Macht ist, kaum Politik macht.
Die FDP nicht, weil sie es vier Jahre lang versäumt hat, in diese Leere zu stoßen. Und: Was hängen geblieben ist, wäre besser nie passiert. Etwa die Abschaffung der Praxisgebühr, die Einführung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Hotelübernachtungen oder die Verabschiedung eines so genanntenLeistungsschutzrechts. Is there more to say?
Die Linken nicht, weil es die Linken sind.
Die SPD nicht, weil sie die schlechtere Alternative zur Union wäre.
Die Grünen nicht, weil sie die schlechtere Alternative zur SPD wären.
Die AfD nicht, weil sie zwar zum wichtigen Thema “europäische Staatsschuldenkrise”aus meiner Sicht richtige Antworten hat. Aber der Populismus der Partei ist nur schwer erträglich. Ich müsste mich ein bisschen schämen, wenn ich sagen würde: “Ich habe die AfD gewählt.” Ich will mich nicht schämen.
Die Piraten nicht, weil sie zwar viel von Freiheit sprechen, aber deren Freiheitsbegriff beinhaltet, das Geld anderer nehmen zu wollen. Bei den Piraten ist bisweilen die Freiheit der einen, der Zwang der anderen. Zwang zum Mindestlohn. Zwang durch Umverteilung bei der Grundrente. Zwang durch Umverteilung beim bedingungslosem Grundeinkommen.
Die fehlenden Wahlalternativen hat treffend Harald Martenstein im Tagesspiegel beschrieben:
“SPD heißt: SPD-Politik. Mit Steuererhöhungen. Grüne heißt, SPD- Politik, aber mit starken Steuererhöhungen. CDU heißt, SPD-Politik, aber ohne Steuererhöhungen. Linkspartei heißt, SPD-Politik, aber wie anno 1950. FDP heißt, SPD-Politik, aber nur unter Protest. Piraten heißt, SPD-Politik, aber nach dem zweiten Joint. Da kann sich jetzt jeder etwas Passendes aussuchen.”
Ich wollte also nicht wählen. Werde es aber doch tun. Je näher der Wahltag rückte, desto mehr beschlich mich der Wunsch, doch “mitmachen”, Teil der Zeremonie “Bundestagswahl” sein zu wollen.
Ich werde die Piraten wählen. Auch weil ich manche Inhalte aus deren Wahlprogrammgut finde.
Zum Beispiel die Forderung nach Schuldenschnitten von Euro-Ländern, statt endloser Finanzspritzen: “Um die Schuldenkrise in Europa wirksam zu lösen, fordern wir PIRATEN daher die kurzfristige Durchführung frühzeitiger einmaliger Schuldenschnitte von Staatsschulden in der Europäischen Union sowie eine effektive Restrukturierung, und wenn nötig, Rekapitalisierung maroder Banken.”
Oder die Abschaffung von Zwangsmitgliedschaften von Unternehmen: “Die Piratenpartei tritt für die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in Kammern und Verbänden wie der Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie der Landwirtschafts- oder Handwerkskammer ein.”
Vieles andere gefällt mir nicht, ist widersprüchlich, zumindest unklar. Die Piraten wählen, ist ein bisschen wie Wichteln. Man wüsste nicht, was man bekommt.
Ich wähle die Piraten deshalb auch weniger ob der Inhalte, als vielmehr wegen der Art, wie sie Politik machen. Sie haben einer Generation Zugang zur Politik ermöglicht. Das finde ich unterstützenswert. Politik machen nicht mehr nur die anderen. Die vermeintlichen Spießer bei Jugendorganisationen der etablierten Parteien. Die Politik ist bei der jüngeren Generation angekommen. Hätten wir heute die gleiche Demografie wie in den 80 Jahren, als die Grünen groß wurden, die Piraten würden locker in den Bundestag einziehen.
Ich werde also wählen gehen. And you?
PS: Wen ich eigentlich wählen müsste… ;-)