Kitaplätze für Alle! Ganztagsschulen für jeden Schüler! – Der Ruf nach mehr durch den Staat finanzierte Bildung in frühen Lebensjahren ist im Bundestagswahlkampf über alle Parteigrenzen ein ähnlicher.
Argumentiert wird mit Gerechtigkeit. Mit Chancengerechtigkeit. Durch Bildung in frühen Jahren würden die Startchancen vereinheitlicht, so die Argumentation. Doch statt Gerechtigkeit schafft der Staat vor allem Gleichmacherei, schreibt Klaus Zierer, Erziehungswissenschaften an der Universität Oldenburg und dort Direktor des Didaktischen Zentrums, in einem lesenswerten Gastbeitrag in der heutigen FAZ (leider noch nicht online).
So gehe zum Beispiel der Trend zu mehr Kitabetreuung, obwohl weder belegt sei, dass lange Kitazeiten dauerhaft einen positiven Effekt hätten, noch Kitas per so vorteilhaft seien.
“Über alle Parteien hinweg wird der Ausbau von Kita-Plätzen gefordert. Das Argument lautet, die Kita garantiere Chancengleichheit und je mehr Kinder die Kita besuchten, desto mehr Bildungsgerechtigkeit gebe es in unserem Land. Empirische Studien scheinen dieses Argument zum Teil auch zu stützen. Je länger Kinder eine Kita besuchen, desto höher sind ihre Fähigkeiten im Denken und Wahrnehmen bei Eintritt in die Grundschule. Dieser Kompetenzzuwachs ist nahezu unabhängig vom sozialen Milieu der Eltern.”
Und Zierer weiter:
“Unter den Tisch fällt in der Diskussion aber häufig, dass dieser Zusammenhang mit Blick auf den Grad der Ausbildung der Eltern noch viel stärker ist. Je besser die Eltern ausgebildet sind, desto besser sind auch die akademischen Leistungen der Kinder, sofern sie in den ersten drei Jahren zu Hause erzogen werden. Diese Effekte sind in hohem Maße nachhaltig, was von den Effekten der Kita nicht behauptet werden kann. Sie gehen schnell verloren, und spätestens zum Ende der Grundschulzeit sind sie nicht mehr feststellbar. Man spricht von Wash-out-Effekten und kann in der vierten Klasse nicht mehr feststellen, ob ein Kind in der Kita war oder nicht. Die Forderung, alle Kinder in eine Kita zu schicken, wird also nur einem Teil der Kinder gerecht, definitiv aber nicht allen.”
Auch Ganztagsschulen seien nicht per se besser für Schüler:
“Es muss mehr Ganztagsschulen geben, so die Schlussfolgerung einer renommierten Stiftung in diesen Tagen angesichts ihrer Studie zur Ganztagsschulsituation in Bayern. Diese Position führt durchaus zu einem Konsens bei den Parteien. Aber einmal mehr folgt daraus nicht, dass sie deswegen richtig ist. Begründet wird die Bevorzugung der Ganztagsschulen damit, dass durch eine längere Unterrichtung aller Lernenden sozial benachteiligte Kinder eine bessere Förderung bekämen und damit zu ihren besser gestellten Mitschülern aufschließen könnten. Verschwiegen wird aber, dass dies zu Lasten eben der besser situierten Mitschüler gehen kann, da sie aus ihrem äußerst positiven (familiären) Umfeld herausgenommen werden. Damit wird abermals Bildungsgerechtigkeit als egalisierende Bildungsgerechtigkeit, also Gleichmacherei verstanden.”
Gleiche Startchancen zu schaffen, mag eine richtige Forderung sein. Sie in gleichen Bildungsangeboten für alle verwirklicht zu sehen, ist der falsche Schluss, so Zierers Kernaussage.
“Bildungsgerechtigkeit wird mehrheitlich als egalisierende Bildungsgerechtigkeit verstanden, bei der allen Schülern das gleiche Bildungsangebot gemacht werden soll.Dass man damit aber nur den wenigsten gerecht werden kann, wird geflissentlich übersehen.”
Meine Erkenntnis: Ein verpflichtendes Vorschuljahr oder verpflichtende Ganztagsschulen machen nicht nur unfreier, sie sind auch pädagogisch falsch. Bildungsgerechtigkeit schafft man stattdessen durch passende Bildungsangebote für unterschiedliche Menschen. Das heißt, dass die Angebote sehr differenziert sein müssen.
Und wie kommen wir zu diesen passenden, vielfältigen Angebote? Durch mehr Kultusministerkonferenzkonferenzen? Durch das Festlegen von Bildungsplänen in Ministerien? Durch die Abschaffung des Bildungsföderalismus, also die Zentralisierung der Bildungspolitik in Berlin? – Oder durch das Setzen eines Ordnungsrahmens, der die stetige Suche nach besserer Bildung belohnt?