Alles Theater: Ein Abend mit den Protagonisten der deutschen Tarifpolitik

Prolog

Südkurier-Artikel vom 7. Februar 2007
Südkurier-Artikel vom 7. Februar 2007

Das öffentliche Leben kennt viele Bühnen. Auf einer findet – stetig wiederkehrend – der Konflikt um die Verteilung des Erwirtschafteten statt: die Tarifverhandlung. Als Sieger geht dabei regelmäßig jene Seite ab, welche die öffentliche Meinung hinter sich gebracht hat. Damit dies gelingt, versuchen Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände ihre eigenen Ziele hinter einem scheinbaren Allgemeinwohl-Interesse zu verbergen. Dieser Kampf um die Deutungshoheit ökonomischer Gegebenheiten wird ständig geführt. Zum Beispiel an einem Abend Ende Januar in einem Hotel in Berlin.

Bühne

Der farbige Portier des Radisson-SAS in Berlin-Mitte hat gut zu tun. Die Taxis stoppen im Minutentakt. Gesamtmetall hat eingeladen. Alle zwei Jahre organisiert der Dachverband der regionalen Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie ein zweitägiges Zusammentreffen für Mitglieder, Politiker und Pressevertreter. Man tauscht sich aus, diskutiert, trinkt, isst, genießt. Ein Ritual. In diesem Jahr soll es um die Globalisierung und ihre Folgen gehen. Zuvor aber empfängt der Portier in seinem schwarzen Frack alle Ankommenden. Das Gepäck wird aus dem Kofferraum genommen, durch die große, goldenfarbene Drehtüre getragen und an der Rezeption abgestellt. Dann tritt der Kofferträger einen Schritt zurück, nimmt seinen Zylinder vom Kopf, verbeugt sich, macht eine ausladende Handbewegung und wünscht einen „wunderschönen Aufenthalt.“ Wenig später treffen sich die Eingeladenen im Raum „Saphir“. Eine Podiumsdiskussion mit sechs Teilnehmern steht auf dem Programm.

Schauspieler

Hauptdarsteller: Martin Kannegiesser, 65, Unternehmer, seit September 2000 Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall; Jürgen Peters, 62, Gewerkschafter, seit August 2003 Vorsitzender der IG Metall. Nebendarsteller: Gesine Schwan, Ex-Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin, leitet heute die Universität in Frankfurt an der Oder; außerdem: die Bundestagsabgeordneten Michael Fuchs von der Union, Heinich Kolb, FDP, sowie der Sozialdemokrat Ludwig Stiegler.

Handlung

Jürgen Peters darf als Erster sprechen. Selbstverständlich. Er ist als Chef der IG Metall sozusagen der natürliche Feind des Gastgebers. Und Feinde werden in einer zivilisierten Welt aufs freundlichste behandelt. Man zeigt die Zähne, indem man lächelt. Und Peters spielt – wie alle anderen auch – die ihm zugedachte Rolle routiniert. Der Gewerkschafter warnt vor niedrigen Gehältern („Wer sich chinesische Löhne bei uns wünscht, der ist auf dem Holzweg“), Rote-Pulli-Sozi Stiegler lobt die einheimischen Beschäftigten („Wir sind besser als wir glauben“), Quoten-Frau Schwan drängt auf die Berücksichtigung anderer als der traditionellen Wettbewerbs- kriterien („Die weichen Faktoren wer- den unterschätzt“), Unternehmerfreund Kolb warnt vor der ausländischen Konkurrenz („Wir sind hier nicht ein Ort der Seeligen“) und der konservative Fuchs beklagt Bildungslücken („Zu viele lesen schlecht und können kaum rechnen“). Am Ende redet Martin Kannegiesser. Und weil er der Gastgeber ist, spricht er am längsten. Auch er sagt, was man erwartet. Etwa dass die Chinesen viel belastbarer seien, „so wie wir Deutschen es noch vor 30 Jahren waren, aber heute nicht mehr.“

Publikum

200 Menschen haben Platz im Raum „Saphir“ und der Infokanal Phönix wird das Gesagte am nächsten Tag in mehrere Zehntausende Wohnzimmer bringen. Der Abend im Radisson-SAS- Hotel ist also nur ein kleiner Mosaikstein im Kampf um die Deutungshoheit, ein Kampf, der ständig geführt wird: im Fernsehen, in Zeitungen, im Internet. Das Objekt des Kampfes: die öffentliche Meinung. Denn die sitzt bei Tarifverhandlungen mit am Tisch. Gewerkschaften wie Arbeitgeber wissen, dass ein Streik um so länger durchzustehen ist, je mehr Menschen sich mit den Forderungen der Streikenden identifizieren.

Kritik I

Das Globalisierungsthema eignet sich für Arbeitgeber besonders gut zur Durchsetzung eigener Interessen unter dem Deckmantel des Allgemeinwohls. Dass es in Deutschland möglichst viele Arbeitsplätze geben sollte, ist zum Beispiel eines dieser Gemeinwohl-Anliegen. Dieses Ziel ist aber nur zu erreichen, wenn die einheimischen Arbeitsplätze konkurrenzfähig zu denen im Ausland sind. Das wiederum ist um so eher der Fall, je niedriger die Arbeitskosten sind. Das Anliegen niedriger Lohnabschlüsse begründen Arbeitgeber deshalb häufig mit den „Zwängen der Globalisierung“. Ihr Eigeninteresse verschweigen sie lieber. Dass nämlich ihr Gewinn umso höher ist, je niedriger die Arbeitnehmerein- kommen sind.

Kritik II

Arbeitgeber argumentieren mit den Zwängen der Globalisierung, Gewerkschaften mit der Kaufkraft. Durch hö- here Löhne hätten die Menschen mehr im Geldbeutel, wodurch sie mehr ausgeben könnten, was wiederum die Konjunktur ankurbeln würde. In der Folge entstünden neue Arbeitsplätze. Höhere Löhne seien also letztlich nicht nur gut für die Mitglieder der jeweiligen Gewerkschaft, sondern letztlich für alle. Was Gewerkschaften verschweigen: Auch die Gewinneinkommen der Arbeitgeber sind nachfragewirksam. Sie reinvestieren in die eigene Firma oder kaufen sich ein neues Haus. Triviales Fazit: Erhält der Arbeitnehmer weniger Geld, hat der Arbeitgeber mehr. Unter dem Kaufkraft-Gesichtspunkt ist Tarifpolitik also weitgehend ein Nullsummenspiel.

Epilog

Die Kameras im Raum „Saphir“ werden ausgeschaltet, das Licht gedämmt. Peters, Kannegiesser und Co. stehen auf, die Bühne verlässt aber noch keiner. Man plaudert, ist freundlich, von Konflikt keine Spur mehr. Die Schauspieler haben ihre Rollen verlassen. Und der schaufenstergroße Bildschirm am Bühnenrand verspricht auch für den Rest des Abends Harmonie. Dort nämlich wird der nächste Programmpunkt angekündigt: „Empfang und festliches Abendessen im Museum für Kommunikation. Bustransfer ab sofort vor dem Hotel.“


Dieser Artikel ist am 7. Februrar 2007 im Südkurier erschienen. Auf diesem Blog veröffentliche ich in unregelmäßigen Abständen eine Auswahl an Artikeln aus meiner Zeit beim Südkurier (1999 bis 2007), die bisher nur in Print vorliegen.   

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