Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Nirgendwo fällt mir dieser Satz häufiger ein als bei Diskussionen rund um den Sozialstaat. Mindestlohn, Kündigungsschutz, Renteneintrittsalter – immer finden sich vermeintlich gute Gründe für soziale Wohltaten. Die Folgen werden zu selten bedacht.
Der Arbeitsmarktexperte Hilmar Schneider benennt wie kaum ein zweiter deutscher Wissenschaftler mit klaren Wort die Konsequenzen von gut gemeinter Arbeitsmarktpolitik.
Vor wenigen Tagen hat er ein Paper veröffentlicht, das verständlich die Folgen der demografischen Entwicklung für den deutschen Arbeitsmarkt und damit für unseren Wohlstand aufzeigt. Das Erstaunliche an dem Paper: Schneider zeigt, wie einfach die heraufziehenden Probleme zu lösen wären.
Das Hauptproblem: Bis zum Jahre 2050 werden im statistischen Durchschnitt Jahr für Jahr 500.000 Menschen weniger potenziell dem Arbeitsmarkt in Deutschland zur Verfügung stehen. Die Konsequenz: Es wird weniger produziert als benötigt wird.
Die gewaltige Lücke zwischen Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot, die sich auftut, wird nur partiell dadurch abgemildert, dass der Bevölkerungsrückgang zugleich mit einem Rückgang der Arbeitsnachfrage einhergeht. Wo weniger Menschen leben, wird auch weniger konsumiert. Wo weniger konsumiert wird, wird auch weniger produziert. Und wo weniger produziert wird, wird auch weniger Arbeitskraft benötigt. Eine einfache Rechnung verdeutlicht die Größenordnung: Zwischen 1991 und 2010 ist das reale BIP pro Kopf in Deutschland im statistischen Durchschnitt um jährlich gut 1 % angestiegen. Unterstellt man, dass die Pro-Kopf-Nachfrage in diesem Ausmaß weiter steigt, dann lässt sich ausgehend von einem bestimmten Zuwanderungsszenario ausrechnen, dass die demographisch bedingte Nachfragelücke beispielsweise im Jahr 2030 etwa 4,6 % betragen wird. Mit anderen Worten, das BIP wird bis dahin um 4,6 % niedriger liegen als es bei gleichbleibender Bevölkerung auf heutigem Niveau läge.
Die Lösung des Problems ist nach Schneider einfach: Die Deutschen müssten lediglich in etwa so viel arbeiten wie in anderen Ländern üblich ist.
Würden alle Erwerbstätigen im statistischen Durchschnitt Vollzeit arbeiten, was in etwa der heutigen Situation in Japan und den USA entspräche, könnte der bevorstehende dramatische Rückgang der Erwerbsbevölkerung in Deutschland zumindest rechnerisch mehr als ausgeglichen werden.
Dass die Deutschen weniger arbeiteten, liegt, so Schneider, nicht an einem besonders ausgeprägten Faible der Deutschen für Freizeit, vielmehr läge es an staatlichen Anreizen, genauer gesagt Fehlanreizen:
Ein Achtel aller Erwerbstätigen geht hierzulande ausschließlich den so genannten Minijobs nach, die außerhalb Deutschlands nahezu unbekannt sind. Dass sich Minijobs so großer nationaler Beliebtheit erfreuen, hat weniger mit einer hohen Freizeitpräferenz der Deutschen zu tun als vielmehr mit monetären Anreizen. Minijobs sind dabei nur ein markantes Beispiel von vielen dafür, wie das Erwerbsverhalten der Menschen vom Steuer- und Transfersystem beeinflusst wird.
Schneider listet vier Gründe auf, warum durch Minijob und andere Regulierungen die Arbeitszeiten in Deutschland niedrig sind.
Gesetzeshürde Nr. 1: Benachteiligung von Zweitverdienern im Steuer- und Transfersystem
Die Tatsache, dass die Frauenerwerbsbeteiligung in Deutschland weit hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt, führt Schneider zum einen auf die unzureichenden Erziehungs- und Betreuungsinfrastruktur zurück (was wiederum seine Ursache in Fehlanreizen auf kommunaler Ebene hat):
Gegenwärtig haben Kommunen keinen finanziellen Anreiz, in Erziehungs- und Betreuungsinfrastruktur zu investieren, weil das System des föderalen Finanzausgleichs verhindert, dass ihnen vom Ertrag in Form eines höheren Lohn- und Einkommensteueraufkommens durch höhere Erwerbsbeteiligung etwas zufließt.
Zum Zweiten, so Schneider, gebe es finanzielle Fehlanreize für Zweitverdiener im Haushalt. Dazu gehörten das Ehegattensplitting, die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern in der Gesetzlichen Krankenversicherung und steuer- und beitragsfreie Minijobs. Sie machten die Ausübung einer Erwerbstätigkeit über den Umfang eines Minijobs hinaus für Zweitverdiener denkbar unattraktiv.
Das Minijob-Privileg sollte daher ersatzlos abgeschafft und das Ehegattensplitting durch eine verfassungskonforme, aber anreizneutrale Alternative ersetzt werden. Damit könnte eines wesentliche Hürde für die Ausweitung der individuellen Arbeitszeit überwunden werden. Ganz nebenbei wäre damit auf elegante Weise auch die aktuell geforderte Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Partnerschaften im Steuerrecht gelöst. Statt die Fehlanreize des Ehegattensplitting auf homosexuelle Partnerschaften auszuweiten, ließe sich eine beträchtliche Mobilisierung des Erwerbspersonenpotenzials erzielen.
Gesetzeshürde Nr. 2: Abrupte Rentenübergänge durch Anrechnung von Hinzuverdiensten beim vorzeitigen Renteneintritt
Wer vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter in Rente geht, darf höchstens 400 Euro pro Monat anrechnungsfrei hinzuverdienen. Wer mehr verdient, schadet sich quasi selbst. Von den Regelungen gingen “groteske Erwerbsanreize aus”, so Schneider.
Mit fünf Wochenstunden ist die Minijobgrenze für einen Durchschnittsverdiener hier schon ausgeschöpft. Um gut 100 Euro mehr zu verdienen, müsste man den Arbeitsaufwand verdreifachen.
Schneider fordert einen vollständigen Verzicht der Anrechnung:
Der Verzicht auf die Anrechnungsregeln würde mutmaßlich zu einer deutlich verlängerten Erwerbsphase führen, weil ein größerer Teil der Frührentner als heute parallel zum Rentenbezug einer Erwerbstätigkeit in nennenswertem Umfang nachginge.
Gesetzeshürde Nr. 3: Kündigungsschutz
Der Kündigungsschutz soll, wie der Name sagt, vor Kündigung schützen. In Deutschland sorgt er dafür, dass mit dem Erreichen des Rentenalters fast allen deutschen Arbeitnehmern gekündigt wird.
Das Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters räumt Unternehmen ein Sonderkündigungsrecht gegenüber den betreffenden Arbeitnehmern ein. Die Voraussetzung dafür sind tarifvertragliche Vereinbarungen zur Beendigung ansonsten unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse mit Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters. Ohne dieses Sonderkündigungsrecht könnte es für Unternehmen schwer werden, sich von Arbeitnehmern zu trennen, wenn deren Leistungsfähigkeit aus Altersgründen irgendwann einmal nachlassen sollte.
Konsequenz: Wenn wir mehr beschäftigte Menschen jenseits des gesetzlichen Renteneintrittsalters wollen, müssen wir dafür sorgen, dass Unternehmen die Möglichkeit bekommen, nach Verstreichen des Sonderkündigungsrechtes sich von älteren Mitarbeitern zu trennen. Schneiders Vorschlag:
Denkbar wäre etwa die Möglichkeit, jenseits des gesetzlichen Renteneintrittsalters wiederholt zeitlich befristete Arbeitsverträge abschließen zu können.
Eine weitgehende Abschaffung des gesetzlichen Kündigungsschutzes lehnt Schneider übrigens ab:
Auf den ersten Blick mag es vielleicht naheliegend erscheinen, den strikten Kündigungsschutz in Deutschland gleich in einem Zug mit den Anrechnungsregeln für Hinzuverdienste abzuschaffen. Der zweite Blick legt jedoch etwas mehr Zurückhaltung nahe. Einmal abgesehen davon, dass der politische Widerstand gegen ein solches Ansinnen enorm wäre, ist nicht einmal sicher, ob ein solcher Schritt unterm Strich zu einem gesamtwirtschaftlich wünschenswerten Ergebnis führen würde.
Gesetzeshürde Nr. 4: Die Aufstockerfalle in der Grundsicherung
Die Grundsicherung plus Minijob sind nach Schneiders Berechnungen entscheidende Barrieren für den Einstieg in eine Vollzeitbeschäftigung.
Selbst ohne Minijob ist der Anreiz der Arbeitsaufnahme bei gering entlohnter Beschäftigung sehr überschaubar. Da das Erwerbseinkommen nahezu vollständig auf den Unterstützungsanspruch angerechnet würde, führe eine entsprechende Tätigkeit im unteren Lohnbereich praktisch kaum zu einer Verbesserung des verfügbaren Einkommens, so Schneider – und rechnet vor:
Selbst bei einem Bruttostundenlohn von 8 Euro erbringt eine Vollzeitbeschäftigung für einen Alleinstehenden am Ende des Monats bei einem Bruttolohn von ca. 1.300 Euro nur etwa 320 Euro netto mehr ein als das Arbeitslosengeld II. Gemessen an den Anstrengungen für etwa 160 Stunden Arbeit im Monat entspricht das einem effektiven Stundenlohn von 2 Euro.
Neben der klassischen Ausweichreaktion der Schwarzarbeit, ist der Minijob eine halbswegs attraktive und gesetzlich legitimierte Alternative.
Die Ausübung der geschilderten Tätigkeit im Rahmen eines Minijobs führt mit einer Wochenarbeitszeit von elfeinhalb Stunden schon auf ein verfügbares Einkommen von 854 Euro im Monat und damit immerhin auf einen Betrag, der um 160 Euro über dem Einkommen läge, das einem Alleinlebenden auch ohne Arbeit zusteht. Der entsprechende effektive Stundenlohn beliefe sich dann immerhin auf 3,20 Euro.
Ein Wechsel vom Minijob zum Vollszeitjob ist dagegen kaum attraktiv:
Der Wechsel von einem Minijob auf eine Vollzeitstelle ist demgegenüber eher unattraktiv. Um am Ende des Monats weitere 160 Euro mehr in der Tasche zu haben als im Minijob, müsste jemand über 120 Stunden im Monat zusätzlich arbeiten und das zu einem effektiven Stundenlohn von 1,35 Euro.
Schneiders trauriges Fazit:
Im Ergebnis hätten die meisten Menschen durchaus die Möglichkeit, ihre Existenz aus eigener Kraft zu sichern, aber das soziale Sicherungssystem hindert sie daran, dies auch zu tun. Statt die Menschen vor der Bedürftigkeit zu schützen, erzeugt der Sozialstaat die Abhängigkeit von Transfers.
Schneiders Lösungsvorschlag liegt neben der ersatzlosen Streichung der Minijob-Regelung wie zu erwarten nicht in der Einführung von Mindestlöhnen (“Mindestlöhne kranken daran, dass der Mindesteinkommensanspruch nur denjenigen zugute kommt, die durch die damit verbundene Erhöhung der Arbeitskosten nicht ihren Job verlieren”). Auch in einer großzügigere Ausgestaltung von Hinzuverdienstmöglichkeiten (zusätzlich zur Grundsicherung) sieht Schneider keine Lösung (“Die Beschäftigungseffekte sind zwar in der Tat umso größer, je höher die Subventionsgrenze angesetzt wird, aber in allen bislang konzipierten Modellen läuft der Kosteneffekt durch Mitnahme dem Einnahmeeffekt durch mehr Beschäftigung hoffnungslos davon.”)
Schneiders Antwort zur Behebung der Anreizproblematik im Niedriglohnbereich lautet “Workfare”, also die Koppelung des Bezug von Sozialleistungen an eine Pflicht zur Gegenleistung in Form von Arbeit im weitesten Sinne.
Workfare kommt ohne Abstriche beim Niveau der Grundsicherung aus und sorgt für Einkommen oberhalb der Grundsicherung. Wer mit einfacher Arbeit mehr verdienen kann als in der Grundsicherung, hat allen Anreiz, dies zu tun. Dass dies zu einer Ausweitung der Niedriglohnbeschäftigung führen dürfte, mag als Problem angesehen werden. Dennoch kann die heute zu beobachtende Alternative, die in der Arbeitslosigkeit bei noch niedrigerem Einkommen besteht, nicht ernsthaft als überlegen angesehen.
Keinen Post verpassen? Folgen Sie dem Pixelökonom auf Facebook, Twitter oder abonnieren Sie den RSS-Feed.
Das ist von den aktuellen Regierungen auch nicht arneds gewollt! Denn Aussichten ffcr Vere4nderungen ab 2009 gibt es nach willen der Regierung icht jedoch nur solange wie das Volk, du und ich! uns dies weiter gefallen lasen und resignieren.Die Politik weiss das und spekuliert auf die Masse die resiniert.Wie war denn das noch 2006, als WM-eine Welle der Euphorie, Zusammengehf6rigkeitsgeffchl durchs Land schwappte, und natfcrlich sofort vom Staat ffcr drastische Reformen,und Gesetze ausnutzte.Solange wir weiter nur zusehen wird sich ffcr das Volk nichts e4ndern. Ich bin sicher das schon ziemlich viele, wenn nicht gar die Merheit schon resigniert hat.Gibt eure alte denkenweise auf was kann ich schon ausrichten .was kann ich schon tun, e4ndert sich ja eh nichts..!Stimmt! .jeder einzelne icht, aber wenn jeder einzelne zusammen endlich aufwacht und aktiv wird, dann ist Vere4nderung mf6glich die das Land dringend brucht.Mit der bishrigen und zukfcnftigen Regieruen wird es keine Vere4derung geben.Im Gegenteil. Schaut bei uns vorbei und informiert euch. ddvg.chapso.de
LikeLike
@Wirtschaftswurm: Ich sehe das ähnlich. Eine radikale Alternative wäre: Grundsicherung für alle. Dann gäbe es, ähnlich wie bei Workfare, zumindest keine Anreizprobleme bezüglich der Hinzuverdienste, dafür leider ein Kostenproblem. Schwierig.
LikeLike
Wenn ich dieses Workfare-Konzept richtig verstehe, ist es nur pervers. Als Bedürftiger bekomme ich nur Geld, wenn ich einen privaten Unternehmer meine Arbeitskraft ausnutzen lasse. Wo ist da noch der Unterschied zu Zwangsarbeit? Auch wenn ich Punkt 1-3 im Großen und Ganzen zustimme, Punkt 4 geht gar nicht.
LikeLike