Der Ablauf ist in aller Regel der Gleiche. Zunächst schreiben nur wenige Unternehmen einer Branche roten Zahlen. Dann kommen weitere hinzu. Spätestens wenn Arbeitsplätze verloren gehen, wird das Thema in die Politik getragen.
Verbände schreiben dann Erklärungen, in denen der ungerechtfertigte Wettbewerbsdruck aus dem Ausland moniert wird. Oder der gesellschaftliche Nutzen hervorgehoben wird. Und wenn das nicht verfängt, dann zieht zumindest das Beschäftigungsargument: „Sie wollen doch nicht, lieber Politiker XY, dass diese Arbeitsplätze verloren gehen, oder?“ Nein, der Politiker will das nicht.
Die politische Ökonomie kennt und beschreibt die Mechanismen, die ein Strukturwandel auslöst. Wenn das Gute dem Besseren weichen soll. Wenn die Beharrungskräfte der Gegenwart den Wohlstand der Zukunft zu verhindern versuchen. Und dabei oft erfolgreich sind, weil jene, denen Verlust droht, eine Lobby haben, zukünftige Gewinner aber nicht.
Die Agrarindustrie führt schon lange diesen Kampf, die deutsche Steinkohlebranche war jahrzehntelang nicht weniger erfolgreich gewesen. Es gibt unzählige Beispiele. Milliarden für Milliarden zahlt die Gesellschaft über Steuern und Abgaben für Unternehmen, die nicht rentabel sind. Das ist schlicht Wohlstandsvernichtung – wenn man mehr hinein steckt als heraus kommt.
Seit ein paar Jahren sind die Zeitungsverlage vom Strukturwandel betroffen.
Ausgelöst hat den Strukturwandel das Internet. Es hat die Hürden des Publizierens gesenkt, wenn nicht gänzlich abgeschafft. Es braucht keine Druckmaschinen mehr, um Inhalte zugänglich zu machen. Ein kostenloser Account bei WordPress reicht.
Es sind aber nicht nur Einstiegshürden für den Branchenzutritt verschwunden (was den Wettbewerb verschärft), auch das Geschäftsmodell bröckelt. Neben dem Verkauf von journalistischen Inhalten besteht es darin, Aufmerksamkeit zu erzeugen, in dem diese Inhalte neben Anzeigen platziert werden.
Das Internet hat ein Konkurrenzmodell hervorgebracht. Dort werden Anzeigen passgenau dort angezeigt, wo der Internetnutzer nach etwas sucht. Es braucht also nicht mehr zwingend den Journalisten, der lesenswerte Geschichten produziert, sondern ausgeklügelte Technik.
Durch die Entwicklung des Internets hat Google den Verlagen einen gewichtigen Teil ihrer Einnahmen weggenommen. Die rächen sich nun. Anstatt die Mächtigen zu kontrollieren, spielen sie jetzt selbst ihre Macht aus.
So macht sich der Springer-Verlag seit Jahren für ein so genanntes Leistungsschutzrecht stark, das am Mittwoch vom Kabinett verabschiedet wurde.
Jene, die auf Inhalte anderer aufmerksam machen, müssen demnach in Zukunft zahlen. Genauer gesagt sollen nur Inhalte von Verlagen geschützt werden, und zahlen sollen auch nur jene, die mit deren Inhalten Geld verdienen.
Im Gesetzentwurf heißt es:
„Erforderlich ist ein Schutz nur vor systematischen Zugriffen auf die verlegerische Leistung durch die gewerblichen Anbieter von Suchmaschinen und gewerbliche Anbieter von solchen Diensten im Netz, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten. Denn deren Geschäftsmodell ist in besonderer Weise darauf ausgerichtet, für die eigene Wertschöpfung auch auf die verlegerische Leistung zuzugreifen.“
Auf den ersten Blick klingt das Gesetz sogar einleuchtend und mündet in der Frage: Warum soll jemand Geschäfte machen mit einer Arbeit, die andere geleistet haben? Gegenfrage: Warum nicht?
Die Zeitungen leben davon. Sie kommentieren Talkshows, rezensieren Kinofilme, berichten über Sportereignisse. Freilich leben nicht nur die Medien davon. Elektronikhersteller verkaufen Fernseher, die ohne Fernsehprogramm niemand kaufen würde, und die Kneipe neben dem Theater profitiert vom Publikum, das nach Vorstellungsende in Weinlaune ist.
Und so ist es auch bei Google. Ja, Google profitiert davon, dass auf anderen Webseiten interessante Inhalte stehen. Aber nicht in dem Sinne, dass sie diese Inhalte kopieren, also eine Urheberrechtsverletzung begehen würden, sondern in dem sie auf diese Inhalte verweisen. Sie haben ein eigenes Geschäftsmodell, nämlich das Geschäftsmodell „Du suchst – Wir finden“.
Nicht nur der Kulturstaatsminister Bernd Neumann liegt also daneben, wenn er sagt “Es kann nicht sein, dass profitorientierte Anbieter gratis auf Inhalte zugreifen.” Nicht Google greift auf die Inhalte zu, sondern Google sorgt dafür, dass andere auf die Inhalte der Verlage zugreifen können.
An dieser Stelle wird die Absurdität des Gesetzes deutlich: Die Verlage profitieren von Suchmaschinen. Sie verschaffen ihnen Traffic und damit Werbeeinnahmen. Nichts wäre für die Verlage leichter zu verhindern als in den Suchtrefferlisten von Google aufzutauchen. Im Code der eigenen Seiten muss lediglich ein entsprechender Hinweis hinterlegt sein, dann lässt Google die Finger davon. Die Verlage tun einen Teufel. Sie lieben Google in diesem Punkt. Sie machen mit Google Geld.
Jetzt wollen sie mit Google noch mehr Geld verdienen. Die Chancen stehen gut: Die Politik will es sich nicht mit hunderten Verlagen verscherzen; die Journalisten sind als Angestellte der Verlage Diener zweier Herren (mit der Folge, dass Kommentare wie diese in der Zeitung landen); und Blogger (die tendenziell nur einem Herren dienen) können oder brauchen nicht laut genug gegen das Gesetz wettern.
Gut möglich also, dass das Leistungsschutzrecht auch den Bundestag passieren wird. Hoffnung macht nur die Erfahrung, die lehrt, dass sich Strukturwandel verzögern, aber nicht aufhalten lässt. Sascha Lobo hat die passenden Worte getwittert: „Das Leistungsschutzrecht beweist, dass die Regierung den Springer-Verlag mehr fürchtet als das Netz. Das sollte man ändern.“
Dieses Post ist zuerst auf dem INSM-Blog erschienen.
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2 thoughts on “Die vierte Gewalt: Wie die Medien ihre Macht missbrauchen”