Nudge – Sanfte Chance oder Gefahr?

Zur Beeinflussung von Menschen braucht es oft nicht viel. Um etwa bei einer Kantinenauslage mit Obst und Süßigkeiten die Menschen zur gesunden Entscheidung zu bewegen, reicht es, einen Spiegel hinter der Auslage zu platzieren. Damit Reinigungskräfte weniger Arbeit haben, wird in Urinalen das Abbild einer Fliege angebracht, weil Männer auf die Fliege zielen, und deshalb 80 Prozent weniger Urin auf dem Boden landet. So ist es jedenfalls in dem 2008 erschienenen Buch „Nudge“ der US-Professoren Richard Thaler (Wirtschaftswissenschaftler) und Cass Sunstein (Rechtswissenschaftler) nachzulesen.

Mit kleinen Änderungen viel bewirken, lautet die Idee hinter Nudge (auf deutsch „Stups“ oder „Schubs“). Armin Falk, Wirtschaftsprofessor für  Verhaltensökonomie an der Universität Bonn, hat dies heute mit einem kleinen Vortrag auch bei mir geschafft. Falk war Referent auf der gerade stattfindenden Konferenz „Ökonomie neu denken“ von Stifterverband und Handelsblatt in Frankfurt.

Falks Wissenschaftszweig, die Behavioral Economics, hat die Wirtschaftswissenschaften in den vergangenen Jahrzehnten ordentlich durcheinander gewirbelt. Die Modellannahmen vom Homo oeconomicus, also des rationalen Nutzenmaximierers, wurden durch die Forschungsergebnisse der Verhaltensökonomen in Frage gestellt.

Wirklich gestürzt wurde der Homo oeconomicus aber nie. Klassiker und Verhaltensökonomen haben sich mittlerweile weitgehend ausgesöhnt. Beide Seiten haben erkannt, dass es mehr ums Ergänzen, Erweitern, statt Zerstören und Ersetzen geht. Heute dient der Homo oeconomicus der grundlegenden und groben Orientierung bei der Erklärung menschlichen Verhaltens, im Detail benötigt es den empirisch geschärften Blick der Verhaltensökonomie.

Für viele Liberale war der Angriff auf den Homo oeconomicus ein Angriff auf ihr Weltbild gewesen. Zu diesem Weltbild gehört, dass keiner besser als jeder für sich selbst weiß, was gut für einen ist. Liberale kämpfen für den freien Willen und die freie Entscheidung, für einen Menschen, der nicht vom Staat oder anderen Institutionen genötigt wird zu tun, was er nicht tun will. Was aber, wenn der Einzelne gar nicht immer weiß, was gut für ihn ist? Weil er zum Beispiel zu wenige Informationen hat, oder zu viele. Wenn rationale Entscheidungen, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich sind. Braucht es dann doch Dritte (den Staat), der für einen entscheidet?

Thaler und Sunstein finden in ihrem Buch einen Weg, der die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie mit liberalen Grundsätzen versöhnt. Der Ausweg heißt liberaler Paternalismus, bei dem der Staat in erster Linie lediglich Anstöße gibt.

Beim liberalen Paternalismus werden den Bürgern also lediglich Entscheidungshilfen gegeben, ohne jene Bürger einzuschränken, die sich für eine andere Richtung entscheiden. Beispiel Organspendegesetz. Dort führen kleine Unterschiede zu diametral gegensätzlichen Ergebnissen. So ist in Ländern mit so genannter Opt-in-Regel, wie in Deutschland, bei der sich jeder bewusst für die Organspende entscheiden muss, die Bereitschaft zur Organspende um ein Mehrfaches geringer (nur knapp über 10 Prozent besitzen einen Organspendeausweis) als in Ländern mit Opt-out-Regel, wie beispielsweise in Österreich, wo man sich explizit äußern muss, dass man nach seinem Tod keine Organe entnommen bekommen möchte (über 90 Prozent).

Bei der Organspende geht es für den Einzelnen um sehr viel, doch obwohl nur eine Postkarte zu schreiben ist, führen unterschiedliche Ausgangssituationen zu extrem unterschiedlichen Ergebnissen.  / Armin Falk

Das Organspende-Beispiel macht deutlich, dass sich Menschen mit vielen – selbst für sie persönlich – wichtigen Themen nicht beschäftigen. Sie nehmen hin, was sie vorfinden, sie hinterfragen nicht. Man kann das kritisieren. Man sollte bedenken: Der Mensch hat viel zu tun. Täglich, stündlich, minütlich müssen Entscheidungen getroffen werden. Wir kommen gar nicht darum herum, Entscheidungsfindungen auszulagern. Ständig. Zum Beispiel im Supermarkt. Wir kaufen Lebensmittel nach dem äußeren Schein oder weil sie ein Bio-Siegel tragen. Wir brauchen Hilfen, damit wir Qualität beurteilen können. Es geht nicht anders, wir können nicht alles überblicken. Nie konnte dass der Mensch, heute am allerwenigsten.

„Für einen Paternalismus in gewisser Ausprägung zu sein, ist eine liberale Position, weil sie schlicht anerkennt, dass Menschen hilfsbedürftig sind“, sagt Falk, der auch Direktor des Center for Economics and Neuroscience sowie des Labors für Experimentelle Wirtschaftsforschung an der Bonner Universität ist. Tatsächlich sei erwiesen, dass vor allem den weniger Schlauen mit sanftem Paternalismus geholfen werden könne, sagt Falk. Bei der Ernährung zum Beispiel. Fettleibigkeit sei vor allem in unteren sozialen Schichten verbreitet.

Nudge kann Probleme verringern, aber auch welche schaffen. Denn wer sagt, dass der, der stupst, eine Richtung vorgibt, welche die Menschen tatsächlich wünschen? Vor allem aber: Vielleicht verfolgt der „Stupser“ seine eigenen Interessen. Staatliche Institutionen wollen mit steigenden Steuereinnahmen finanziert werden, Machthabende möchten wiedergewählt werden.

„Keine Frage“, sagt Falk, „der liberale Paternalismus kann auch eine Gefahr sein.“ Deswegen sei es wichtig, dass auch die Anstöße demokratisch legitimiert werden. „Nicht ich kann beurteilen, was gewollt ist, dafür braucht es den Wähler.“

3 thoughts on “Nudge – Sanfte Chance oder Gefahr?

  1. Aus welchen Gründen ist eine Person in der Rolle “Wähler” besser aufgeklärt als in der Rolle “Konsument”?

    Wo verläuft die Grenze des liberalen Paternalismuses zu der gelenkten Demokratie?

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  2. “Nudging” wird oft mit dem Vorwurf der Manipulation konfrontiert, dabei ist der Ausgangspunkt von Thaler / Sunstein eigentlich eher Verbraucherschutz: Märkte, so die Autoren, nutzen die Irrationalität der Verbraucher in manchen Fällen gezielt aus, und “nudging” ist eigentlich nichts anderes als der Versuch einer Gegensteuerung. Für Thaler / Sunstein geht es um “choice architecture”: als Verbraucher stehen wir täglich vor der Wahl zwischen Produkten, aber die Art der Präsentation dieser Auswahl ist eben *nie* neutral. “Nudging” hilft dabei, eine bessere Entscheidung zu fällen und Regierungen sind in vielen Fällen neutralere “choice architects” als Firmen … Auf meinem Blog findet sich übrigens auch eine Besprechung des Buches: http://www.thinktankdirectory.org/blog/2009/07/26/nudge-wie-man-kluge-entscheidungen-anstost/

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