Mit Wahlplakaten ist kein Blumentopf zu gewinnen. Eigentlich. Gesichter und Namen kann sich keiner merken, die Slogans sind austauschbar. Die Piratenpartei in Berlin ist die Ausnahme. Deren Wahlkampfplakate zeigen Wirkung.
Der einfache Trick: Den Wähler nicht für doof verkaufen. Die andere Parteien kleben vorwiegend schlicht lächelnde Gesichter mit unbekannten Namen auf A2-große Kartons. Für mich eine Provokation. Weil die ungeschriebene Botschaft dieser Plakate heißt, dass man man eine Partei wegen eines mehr oder weniger freundlichen Gesichtes wählen soll. Die Piratenpartei hat sich stattdessen darauf konzentriert, worauf es bei einer Wahl ankommen sollte: Inhalte.
Was ebenfalls erfreulich ist: Die Inhalte überraschen. 12 Motive sind in Berlin plakatiert. Es geht unter anderem um neue Partizipationsmöglichkeiten in der Politik („Wir sind die mit den Fragen – Ihr seid die mit den Antworten.“ ),
die Akzeptanz von Homosexualität („Ich will so lieben wie ich bin“),
die Liberalisierung von Drogenpolitik („Suchtpolitik statt Drogenkrieg“),
um ein verändertes Wahlrecht („Wahlrecht für alle Berliner – unabhängig von Alter und Herkunft“),
und die Gleichbehandlung von Religionen („Religion privatisieren – jetzt!“).
„Wir haben viel Zulauf, seit die Plakatkampagne läuft“, sagt Martin Delius, auf Platz 4 der Berliner Landesliste der Piratenpartei, „wir haben offensichtlich mit unseren Sprüchen und Fragen, die wir aufgeworfen haben, den Nerv getroffen.“
Gute Ideen brauchen Abnehmer. Die kreativste Werbekampagne bringt nichts, wenn das beworbene Produkt keiner braucht. Ganz offensichtlich treffen die Slogans auf offene Ohren. Fast täglich steigen die Prognosen für die Piratenpartei. Bis zu 9 Prozent kann die Partei erreichen, die erst vor drei Jahren erstmals an einer Landtagswahl teilnahm.
Die aktuellen Umfragewerte helfen den Piraten mindestens so sehr wie die Wahlplakate. Denn sie sind selbstverstärkend. Sie lösen ein Problem aller kleinen Parteien. „Die von außen formulierte Erfolgsprophezeiung enthebt die Piratenpartei ihres wahlpsychologisch bedeutendsten Makels: dem Vorwurf, eine Stimme für die Piraten sei parlamentarisch schlicht verschenkt“, sagt der Göttinger Parteienforscher Alexander Hensel.
Hensel hat den Erfolg der Piratenpartei untersucht. Wer wählt die Piraten?
Es sind drei Gruppen, sagt Hensel. Zum einen seien dies jüngere, gut gebildete Männer mit hoher Affinität zu digitaler Technik und Kultur. „Diese schätzen die Piraten vor allem aufgrund der politischen Perspektive der digitalen Revolution – sowie als Datenschutz- und netzpolitische Vorreiterpartei.“
Die zweite Gruppe bildet die so genannten Digital Natives. Diese seien jung, durch eine zeitintensive, aber eher oberflächliche Nutzung des Internets geprägt und vor allem mit der Kultur sozialer Netzwerke sehr vertraut. Hensel: „Sie honorieren den jugendlichen Habitus und die authentische Form der politischen Online-Kommunikation der Piraten.“
Die dritte Gruppe sind Menschen, die mit den traditionellen Parteien unzufrieden sind. Hensel nennt sie die „neue Basisdemokratie“. „Aus der Unzufriedenheit mit der Praxis der parlamentarischen Demokratie heraus fordern sie die Modernisierung der politischen Partizipationskultur.“ Politisches Engagement solle demnach unkonventionell, thematisch begrenzter, zeitlich flexibler und tendenziell basisdemokratisch organisiert werden.
Die Piratenpartei erfüllt den Wunsch nach Offenheit und Partizipation. Jede Entscheidung der Partei ist im Internet hinterlegt. Der Entscheidungsprozess ebenfalls. Zum Beispiel die Ansichten der Piratenpartei zur Wirtschaftspolitik. Andere Parteien stellen ihr Wahlprogramm online, fertig. Bei der Piratenpartei ist der Prozess transparent. Beispiel Arbeitskreis Wirtschaft, dieser erarbeitet Vorschläge für das Parteiprogramm. Auf ihrer Webseite sind alle Mitglieder aufgelistet, alle Protokolle abrufbar und alle Sitzungen mittels Sprachkonferenzsoftware live verfolgbar.
Ein zentrales Ergebnis der bisher 50 Sitzungen (die erste fand am 23. Oktober 2009 statt) ist ein Wirtschaftsprogramm. Es passt auf drei DIN-A4-Seiten. Wirtschaftsliberale können davon angetan sein.
Das Programm beginnt pathetisch mit einer Präambel („Die Wirtschaft soll eine treibende Kraft für Frieden, Wohlstand und Fortschritt einer Gesellschaft sein.“), um dann konkret zu werden.
Es geht um
- Monopole („Das Wirtschaftssystem ist so zu gestalten, dass Monopolstrukturen und deren Entstehung verhindert werden.“)
- Geldpolitik („Die Unabhängigkeit der EZB von Wirtschaft und einzelnen Staaten muss weiterhin gesichert bleiben.“)
- Steuerpolitik („Wir streben eine Vereinfachung, Effizienzsteigerung und Entbürokratisierung im System der öffentlichen Finanzen an.“)
- Sozialpolitik („Alle finanziellen Sozialleistungen sind möglichst durch ein einheitliches Grundsicherungssystem zu ersetzen, das beispielsweise als Grundeinkommen oder in Form einer negativen Einkommensteuer ausgestaltet werden kann und durch zusätzliche staatliche und privatwirtschaftlich organisierte Sozialversicherungen auf freiwilliger Basis ergänzt wird.“)
- Haushaltspolitik („Die Piraten wollen so schnell wie möglich ausgeglichene Haushalte ohne Neuverschuldung erreichen.“)
- das Finanzsystem („Die Insolvenz einer Bank muss in der Praxis möglich sein, ohne das Funktionieren des Wirtschaftsystems wesentlich zu stören.“)
Ins Prateiprogramm der Piraten haben es diese Gedanken bisher allerdings nicht geschafft. Und auch das Berliner Wahlprogramm ist nur bedingt wirtschaftsliberal. Die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft in der IHK wird erfreulicherweise gefordert. Auf der anderen Seite wollen die Piraten (wie mittlerweile fast alle Parteien) einen Mindestlohn einführen, fordern ein bedingungsloses Grundeinkommen und die Verstaatlichung des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin.
Die Piratenpartei, das merkt man an ihren Positionen zu Wirtschaftshemen, ist eine junge Partei. Die Meinungen sind unterschiedlich, bisweilen diametral gegensätzlich, vor allem auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik, das kein Kerngebiet der Piraten ist.
Das Wirtschaftspolitik nicht Kernkompetenz der Piraten ist, hat Andreas Baum, der Spitzenkandidat der Berliner Piratenpartei, neulich unfreiwillig belegt. Als er im Fernsehsender RBB nach dem Schuldenstand Berlins gefragt wurde, zuckte er mit den Schultern und sagte “viele, viele Millionen”.
Das ist peinlich. Eigentlich. Die Piraten gehen damit offensiv um. Eine App für das iPhone (Link zum iTunes Store) und für Android-Geräte wurde entwickelt, die sekundegenau den Berliner Schuldenstand anzeigt. Dort ist jetzt nachzulesen, was Andreas Baum mittlerweile im Schlaf weiß: Die aktuellen Schulden Berlins belaufen sich auf fast 64 Milliarden Euro.
PS: Wie eine Antwort auf diesen Post: Die Piratenpartei haben noch ein Wahlplakat entpackt.
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One thought on “Wie liberal sind die Piraten?”