Deutschland lebt bekanntermaßen über seine Verhältnisse. Von wenigen Jahren abgesehen, gibt der Staat seit 1970 jährlich mehr aus als er einnimmt. Die Folge ist eine stetig wachsende Staatssverschuldung (siehe Grafik).
Die negativen Folgen sind bereits heute deutlich zu sehen. Jahr für Jahr muss der Staat über 60 Milliarden Euro alleine für die Bezahlung der Zinsen aufwenden (siehe Grafik). Wohl gemerkt: Mit dem Geld werden keine Schulden zurückgezahlt, sondern lediglich die anfallenden Zinsen bedient.
Eine schlichte Rechnung: Mit diesem Geld ließen sich mehr als 400.000 Lehrer einstellen (Jahresgehalt 70.000 Euro) und gleichzeitig über 15.000 neue Schulen bauen (Kosten pro Schule von 2 Millionen Euro). Jedes Jahr!
Aber das Geld ist nicht da, wir haben es bereits in früheren Jahrzehnten ausgegeben.
Warum der Staat jedes Jahr ein paar Prozent mehr ausgibt als er einnimmt, ist leicht zu erklären: Die Politik lebt von Versprechungen. Wer mehr verspricht, erhält mehr Zustimmung. Man kann das der Politik zum Vorwurf machen, man kann die Schuld aber auch bei jenen suchen, die über die Politik bestimmen, nämlich beim Wähler.
Wir geben lieber jenen die Stimme, die uns finanziell besser stellen. Wer verspricht, das Kindergeld zu erhöhen, mehr Geld für Kulturprojekte zu geben, die Rente zu erhöhen, der wird gewählt.
Hinzu kommt, was in der Wissenschaft Zeitinkonsistenz genannt wird. Politiker sind nur für wenige Jahre im Amt, in der Regel denken sie vor allem an die nächste Wahl. Die bitteren Botschaften, dass nämlich kein Geld mehr da ist, weil die Schuldenlasten drücken, diese Botschaften muss nicht der Politiker verkünden, der darüber entschieden hat, Geld mit beiden Händen auszugeben. Wer beim Trinken weiß, dass den Kater am nächsten Morgen andere haben werden, der langt besonders kräftig zu.
Die Gründe für die Schuldenprobleme sind also wissenschaftlich längst untersucht und bekannt. Die Probleme sind auch kein spezifisch deutsches. Den meisten Ländern geht es ähnlich.
Bei manchen Ländern ist die Staatsverschuldung so groß geworden, dass jene, die bisher die Staatsanleihen gekauft haben, zunehmend zweifeln, ob sie ihr Geld in Zukunft zurück bekommen werden. Vertrauen geht verloren.
Die Folge: Der Zinssatz für diese Anleihen steigt. Der steigende Zins ist ein Risikoaufschlag. Die Käufer diese Anleihen lassen sich das Ausfallrisiko durch eine Prämie ausgleichen.
Steigende Zinsen sind also auch ein guter Indikator für die Zukunftsfähigkeit eines Landes.
Doch mit dem Zinsmechanismus lässt sich nicht nur gewissermaßen in die Zukunft schauen, er verhindert auch eine übermäßige Verschuldung. Eigentlich. Denn wenn Staaten kein Geld mehr bekommen oder nur zu sehr hohen Zinsen, dann bleibt ihnen keine andere Wahl als zu sparen. Man könnte sagen: Der Markt rettet zukünftige Generationen.
Aber die Politik lässt sich nicht gerne beschränken. Sie würde lieber weiter mehr Geld ausgeben als sie einnimmt. Schließlich bringt das (siehe oben) Wählerstimmen.
Und sie hat einen Weg gefunden, wie das gelingen kann. Man besorgt sich einen Bürgen. Einer, der für die Schulden haftet. Von dem die Gläubiger glauben, dass zumindest dieser Bürge das Geld zurückzahlen kann. Transferunion nennt sich das dann in Europa.
Jene, die den Euro einführten, hatten dieses Problem kommen sehen. Man hatte deshalb gesetzlich festgelegt, dass die Staaten sich nicht gegenseitig helfen dürfen. No-Bail-Out, heißt das Schlagwort. Aber die Staaten halten sich nicht daran.
Stattdessen wurde der ESM eingerichtet, der Europäische Stabilitätsmechanismus, umgangssprachlich auch Euro-Rettungsschirm genannt. Und es wird über Eurobonds diskutiert. Das Prinzip ist das Gleiche: Jene Staaten, die sich noch zu niedrigeren Zinsen verschulden können, geben jenen Geld, die am Markt kein vertrauen mehr genießen.
Die unmittelbare Folge: Hochverschuldete Staaten können sich weiter, zu günstigen Konditionen, Geld beschaffen. Sie müssen also ihre Politik nicht grundlegend ändern.
Das grundlegende Problem aber, dass Staaten mehr aus- als einnehmen, wird nicht gelöst, der Zinssatz wird als Korrekturinstrument außer Kraft gesetzt, zumindest kurzfristig.
Die längerfristige Folge: Die Länder mit besserer Kreditwürdigkeit geraten ebenfalls unter Druck, weil sie ja nun auch für die Schulden der anderen Ländern haften. Ihre Kreditwürdigkeit sinkt.
Die Probleme der Verschuldung werden also vertagt und verschlimmert, weil die Schuldenberge weiter wachsen.
Das Ende wird so aussehen: Die korrigierenden Marktkräfte steigender Zinsen kommen zeitversetzt doch zum Tragen. Spätestens jetzt hilft nur noch zu sparen. Der große Nachteil: Die Lasten der zukünftigen Generation werden noch drückender sein.
Besser ist es, heute zu handeln. Die Schweiz kann Vorbild für ganz Europa werden. Im Jahr 2001 wurde durch die Bundesversammlung und per Volksabstimmung eine Schuldenbremse beschlossen und in die Verfassung geschrieben. Seit 2003 greift sie. Die Schweizer Schuldenquote ist seitdem von 67 auf gut 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken, ganz entgegen dem europäischen und globalen Trend.
Der Ausweg aus der Schuldenkrise liegt in der Selbstbeschränkung, die Politik muss sich selbst fesseln anlegen. Der Staat darf nicht mehr alles, etwa nicht mehr Geld ausgeben als er einnimmt. Das löst das Problem grenzenloser Wahlversprechen und das Zeitinkonsistenz.
Deutschland hat ebenfalls den Weg der Schuldengrenze eingeschlagen und gibt damit die Richtung vor, wie ein Ausweg aus der europäischen Schuldenkrise aussehen kann: Es wird nur jenen Ländern geholfen, die ihre Politik an diese Beschränkung knüpfen, also eine Schuldenbremse in die Verfassung einbauen. Eine Garantie für eine soliden Haushaltspolitik ist auch das nicht. Denn auch Verfassungen können geändert werden. Aber es ist die höchst mögliche Hürde. Wenn das nicht hilft, bleibt nur der Markt als Regulator.
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@Marie-Luise Zaunberger: Danke für die interessante Antwort. Ich hoffe Sie haben meinen Post nicht in dem Sinne verstanden als sei ich für eine staatliche Rettung von Banken.
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Mit Verlaub denke ich, dass der Beitrag insgesamt nicht richtig aufgezäumt ist: Wer von öffentlicher Verschuldung spricht, muss gleichzeitig von den privaten Vermögen sprechen. “Umverteilung” ist exakt das richtige Stichwort. Denn die Schulden der einen sind immer die Vermögen der anderen. Wie der erste Kommentator richtig anmerkt, ist Deutschland netto (also in Bezug auf die andere Volkswirtschaften, z.B. der EU) eindeutig Gläubiger und nicht Schuldner. Und es ist eben so, dass die Vermögen einer Minderheit der Einwohner Deutschlands in den letzten 30 Jahre noch sehr viel dramatischer angewachsen sind als die öffentliche Verschuldung – nur letztere wird aber immer wieder hergezeigt, um die Menschen einzuschüchtern. Was unbedingt zu einem solchen Beitrag über die öffentliche Verschuldung gehören würde, damit man die gezeigten Zahlen ins richtige Verhältnis setzen kann, wäre eine historische Darstellung der Entwicklung der öffentlichen Einnahmen. Diese sind nämlich rückläufig, obwohl die Wirtschaftsleistung steigt. Es gibt große Lobby-Gruppen (und der Bund der Steuerzahler gehört dazu – er ist keineswegs eine erkenntnisgeleitete, wissenschaftlichen Prinzipien verpflichtete Institution), die seit vielen Jahren auf dem Umweg der Verschuldungsdiskussion ihre Agenda der Steuersenkungen betreiben. Wenn der Staat immer weniger dort einnimmt, wo die Wertschöpfung passiert, so kann er logischerweise seinen öffentlichen Aufgaben nur durch Aufnahme neuer Schulden nachkommen. Genau so wichtig wäre es auch, zu beachten, dass die öffentliche Neuverschuldung von Staaten historisch immer dann besonders stark ansteigt, wenn “systemrelevante”, private Unternehmen quasi “im Namen der Gesamtbevölkerung” vor dem Bankrott gerettet werden. Nagelprobe: Überprüfen Sie doch bitte, wie stark die Neuverschuldung des Bundes in Deutschland im Jahr 2010 gestiegen ist, und schauen Sie sich dann in den öffentlich zugänglichen Daten des statistischen Bundesamtes einmal an, welcher Prozentsatz dieser Neuverschuldung auf die Rettung diverser Banken (unter anderem der HRE) zurückzuführen ist. 10 Prozent? 20 Prozent? Es langt bei weitem nicht. Sie werden Bauklötze staunen, soviel kann ich Ihnen verraten! Ich freue mich schon auf einen nächsten Beitrag, der hoffentlich die Einnahmenseite näher beleuchtet.
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@ Hans Joachim Reusch: Zwei gute Einwände, wie ich finde. 1) Tatsächlich muss man, wenn man die Generationsenungerechtigkeit der Verschuldung betrachtet, jene Schulden rausrechnen, die langfristige Investitionen sind. 2) Ja, von Verschuldung profitieren auch Menschen in der Zukunft, nämlich jene, welche die Staatsanleihen haben (vererbt bekommen). Wie groß mag der Anteil in der Bevölkerung sein? Sicherlich eine Minderheit.
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Wo ist eigentlich die Gegenrechnung? Die Gelder wurden doch auch für Investitionen ausgegeben.
Welche Autobahnen, Universitäten und sonstige Investitionen würden heute nicht existieren, wenn es keine Schulden gebe?
Übrigens lebt Deutschland solange nicht über seine Verhältnisse, solange es mehr produziert als konsumiert. Bei wem ist der deutsche Staat eigentlich verschuldet? Könnte es sein, dass er bei den Deutschen verschuldet ist, dass wir es also eigentlich mit einer Umverteilung zu tun haben, denn die Zinsen würden bei einer Verschuldung des deutschen Staates bei den Deutschen doch den Deutschen zu fließen, oder
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