Alles Aussteiger: Warum Politiker keine Atompolitik machen sollten

Eigentlich wollten ja schon immer alle weg von diesem Teufelszeug. Könnte man meinen. Atomenergie dürfe es nur noch für ein streng befristete Zeit geben, lautet jetzt die Konsensaussage aller Politiker. Und das Wort „Brückentechnologie“ wird nun besonders häufig von jenen verwendet, die es bisher höchstens im Zusammenhang mit dem Ausbau von Verkehrswegen in den Mund genommen hatten.

Es ist noch nicht lange her, da bezeichnete die FDP den „Abschied von der Kernenergie“ als „falschen Weg“. Man wolle deutsche Kompetenz erhalten, um den Exportartikel „AKW“ auch weiter im Angebot zu haben. Nun wird man vermutlich argumentieren, man habe doch nur Abschalt- und Übergangstechnologie behalten wollen.

Japan hat alles verändert. Die Tage deutscher Atommeiler sind endgültig gezählt. Angela Merkel hat diese Woche verkündet, sieben Kernkraftwerke vorerst abschalten und die Laufzeitverlängerung aussetzen zu lassen. Die Opposition sieht darin ein Wahlkampfmanöver, das CDU und FDP über die nächsten Wahlen retten soll. Doch die Kritik klingt selbst nach Wahlkampf.

Kein Zweifel: Die Ereignisse in Fukushima sind eine Zäsur in der deutschen Atompolitik. Auch, weil schon bisher eine Mehrheit der Deutschen gegen die Kernenergie war. Aus dieser bisher knappen, wird nun eine satte Mehrheit. Und auf lange Frist macht in einer Demokratie keiner Politik gegen klare Mehrheiten.

Es ist schlicht nicht vorstellbar, dass Angela Merkel und Guido Westerwelle zur nächsten Bundestagswahl mit der Aussage antreten werden, die Laufzeiten der Kernkraftwerke nun doch wieder verlängern zu wollen.

Man mag zur friedlichen Nutzung der Kernenergie stehen wie man will, unter dem Blickwinkel der politischen Ökonomie war sie schon immer problematisch.

Die politische Ökonomie bedient sich ökonomischer Theorien um politische Prozesse zu beschreiben. Sie geht beispielsweise davon aus, dass politische Entscheidungsträger in erster Linie ihren eigenen Nutzen maximieren. Politiker sind demnach nicht hauptsächlich am Wohlergehen der Gemeinschaft interessiert, sondern verfolgen persönliche Interessen. Und die liegen vor allem darin, wiedergewählt zu werden. Da ein solcher Wunsch kurzfristiger Natur ist, geraten langfristige Ziele in der Politik leicht aus den Augen.

Das erklärt zum Beispiel, warum seit Jahrzehnten Regierungen jeder Couleur mehr ausgeben als einnehmen. Es bringt eben Stimmen, Wohltaten zu verteilen und die Kosten in Form von Schulden jenen aufzubürden, die noch nicht zur Wahlurne gehen können, weil sie noch nicht geboren sind.

Die politische Ökonomie rät deshalb dort zu so genannten Selbstbindungen, wo einem kurzfristigen Nutzen ein langfristiger großer Schaden gegenübersteht. Es ist wie bei einem Kind, dem man die Tüte mit Süßigkeiten wegnehmen muss, bevor sie leergegessen ist. Die Bauchschmerzen wären einfach unerträglich.

Im Grunde legt sich die Politik bei einer Selbstbindung selbst Fesseln an. Bei der Geldpolitik zum Beispiel gibt es eine solche Selbstbindung. Die Politik hat sich weitgehend verboten, über die Geldmenge zu bestimmen. Sie hat sich die Tüte mit den Süßigkeiten aus der Hand nehmen lassen. Über die Menge des im Umlauf befindlichen Geldes entscheidet die Notenbank. Damit die Politik nicht in Versuchung gerät, in Krisenzeiten oder vor Wahlen kurzfristig die Geldmenge auszuweiten, um per Strohfeuer die Wirtschaft anzukurbeln, was aber langfristig die Inflation anheizt.

Eine ähnliches Dilemma gibt es in der Atompolitik. Dem kurzfristigen Nutzen (relativ günstiger Strom) stehen langfristige Kosten (jahrhundertelange Lagerung von Brennstäben oder die langwierigen Folgen eines Gaus) gegenüber.

Durch die Japan-Katastrophe wird das Dilemma vermutlich vom Wähler gelöst werden, die mehrheitlich keinen Atomstrom mehr wollen, genauer gesagt keine Kernkraftwerke. Sie denken weniger an die Zukunft, die Gegenwart macht genug Angst.

Die Frage, die dadurch zunehmend in den Mittelpunkt rückt: Was kostet der Ausstieg? Wenig bis gar nichts sagen jene, die der Ansicht sind, dass die wahren Kosten der Kernenergie, wie etwa die langfristigen Lagerkosten, bisher nur teilweise in den Strompreis einfließen.

Viel, meinen die, für die der Ausstieg besonders teuer wird. Die Gesellschaft müsse anerkennen, hat beispielsweise RWE-Chef Jürgen Großmann diese Woche gesagt, „dass man in einem Industrieland nicht einfach so auf Kohle und Kernenergie verzichten kann, wenn man Wohlstand und Versorgungssicherheit erhalten will.“ Vielleicht nicht so schnell auf Kohle, auf Kernenergie schon. Mittlerweile macht der Anteil der Kernenergie an der gesamten deutschen Stromerzeugung noch 22,6 Prozent aus. Vor zehn Jahren waren es noch 30 Prozent gewesen.

Umgekehrt verhält es sich mit den erneuerbaren Energien wie Wasserkraft, Windkraft oder Biomasse. Deren Anteil lag 2001 noch bei 6,6 Prozent. Heute sind es 17 Prozent.

Allein die Fortschreibung der Entwicklung der vergangenen zehn Jahre würde die Kernenergie bald zum Nischenstromerzeuger machen. Wird der Ausstieg nun forciert, könnte Strom teurer werden, muss er aber nicht. Die Bandbreite der Schätzungen reicht von „unter der Nachweisgrenze“ (Öko-Institut Freiburg) bis zu einem Anstieg von 10 Prozent und mehr (Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung, kurz RWI): Der Strompreis pro Kilowattstunde könne um bis zu drei Cent steigen. Derzeit kostet die Kilowattstunde im Durchschnitt rund 23 Cent.

Zu einem ähnlichen Ergebnis ist jüngst auch der von der Bundesregierung benannte und diese beratende Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) gekommen. Der vollständige Verzicht auf den Neubau von Kern- und Kohlekraftwerken und eine vollständige Umstellung der Stromversorgung auf Ökostrom bis zum Jahre 2050 würde für jeden Haushalt zu eine monatliche Zusatzbelastung von 50 Euro führen. Ein kleiner Preis für eine sicherere Zukunft.

2 thoughts on “Alles Aussteiger: Warum Politiker keine Atompolitik machen sollten

  1. Der Atomausstieg mag ja machbar sein, aber sollten wir uns nicht vielleicht klar machen, dass dafür entweder mehr Energie aus Kohle erzeugt werden muss oder Atomstrom aus den Nachbarländern importiert wird? Das eine verschlechtert die CO2-Bilanz, was wiederum diejenigen ausbaden müssen, die noch nicht geboren sind, das andere verlagert das Atomrisiko in Länder mit möglicherweise noch älteren Reaktoren.

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