Gary Becker hat in seinem akademischen Leben viel Prügel einstecken müssen. Der US-amerikanische Ökonom, der 1992 den Nobelpreis erhielt, hat wie kein zweiter das Familienleben auf den Seziertisch der Wirtschaftswissenschaften gelegt. Warum heiraten Menschen? Weshalb gehen Ehen auseinander? Wieso entscheiden sich Paare für Kinder oder dagegen?
Das Private und Emotionale hat Becker in ökonomische Kosten-Nutzen-Analysen gezwängt. Er wurde dafür als kaltherziger Imperialist beschimpft, als einer, der in anderen Wissenschaftsbereichen wildere, in der Psychologie und Soziologie, wovon er als Ökonom aber keine Ahnung habe und deshalb gefälligst die Finger davon lassen solle.
Der 1930 geborene Becker hat sich darum nie geschert. Zum Glück. Denn seine Erkenntnisse helfen heute dort, wo mit klarem Verstand versucht wird, drängende soziale Probleme zu lösen. Zum Beispiel das der niedrigen Geburtenrate in der westlichen Welt. Denn: Wird der Trend nicht umgekehrt, stirbt diese unsere Gesellschaft aus.
In Deutschland ist die Rate mit 1,36 Kindern je Frau besonders niedrig. Im Frühjahr 2009 hatte die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen die Trendumkehr ausgerufen. Das war voreilig. Im vergangenen Jahr wurden 665.000 Kinder geboren. So wenige wie nie zuvor.
Allerdings: Schaut man über den deutschen Tellerrand hinaus, deutet sich tatsächlich eine Wende an. Vor allem Länder, die an der Spitze von Lebensqualitätsrankings stehen, verzeichnen im neuen Jahrtausend einen langsamen, aber stetigen Anstieg.
Die skandinavischen Staaten zählen beispielsweise dazu. Weil dort mit kühlem Verstand der Niedergang der Geburtenrate analysiert und die richtigen Schlüsse gezogen werden.
Drei Gründe haben die Geburtenrate innerhalb der vergangenen 100 Jahren radikal gesenkt:
- Der Aufbau von Sozialversicherungen, wodurch die Absicherung der Lebensrisiken von der Familie auf die Gesellschaft übertragen wurde, weshalb eigene Kinder für die eigene Altersversicherung weitgehend überflüssig wurden.
- Die Entwicklung der Pille, die in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in allen Industriestaaten die Geburtenrate einbrechen ließ.
- Der gesellschaftliche und technische Fortschritt, der den Frauen lukrative Alternativen zum Kinder kriegen bietet, nämlich Karriere, eigenes Einkommen und Unabhängigkeit.
An den ersten beiden Gründen für den Geburtenrückgang wird sich – zum Glück – nichts mehr ändern lassen. Ansetzen lässt sich ausschließlich beim dritten Punkt.
Werde ich ausreichend für das Kind sorgen können? Gibt es einen Partner, auf den ich mich langfristig verlassen kann? Was muss ich aufgeben, wenn ich Mutter/Vater werde?
Nicht alle machen es sich bewusst, aber die Entscheidung für oder gegen ein Kind ist nichts anderes als eine Beckersche Kosten-Nutzen-Analyse. Und weil sich die Lebensmöglichkeiten vor allem für Frauen radikal verbreitert haben, konkurriert die Mutterrolle mit mehr alternativen Lebensplänen als jemals zuvor.
Nur dort, wo sich möglichst viele dieser Lebenspläne mit dem Kinderwunsch kombinieren lassen, wird die Zahl der Geburten mittelfristig wieder steigen.
Finanzielle Sicherheit hilft, ebenso eine sorgenfreie Kinderbetreuung sowie ein kinderfreundliches Umfeld. Vieles davon kostet Geld. Fortschritt und Wohlstand haben zur vermutlich niedrigsten Geburtenrate der Menschheitsgeschichte geführt. Gut möglich, dass sie durch Fortschritt und Wohlstand nun wieder steigen wird.
Mit einem Unterschied zu früher: Die meisten Kinder, die heute geboren werden, sind Wunschkinder. Sie kommen nicht wegen der Altersvorsorge auf die Welt, auch nicht aus Versehen. Sie werden geboren, weil wir Kinder lieben.
“Vor allem Länder, die an der Spitze von Lebensqualitätsrankings stehen, verzeichnen im neuen Jahrtausend einen langsamen, aber stetigen Anstieg.” –Gegenüber der normalen Schwankung macht der sich aber kaum bemerkbar. Vielleicht sollte man da mal einen p-Wert ausrechnen?
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Ich hoffe, dass du Recht behälst. Allerdings müsste die Geburtenrate förmlich explodieren, um unsere Probleme zu lösen. Denn die Zahl der Frauen im gebärfähigen Altern ist heute bereits kleiner als früher. Eine höhere Geburtenrate pro Frau bei gleichzeitig weniger Frauen bedeutet darum nicht gleich auch mehr Kinder.
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