Zahlst Du, dann darfst Du: Nirgendwo zeigen sich die Prinzipien des Kapitalismus anschaulicher als beim Eintritt

In Berlin stehen sie jetzt für Hitler an. Die Schlange am Deutschen Historischen Museum geht regelmäßig um mehrere Ecken. Eltern mit ihren Kindern warten, Jugendliche, Rentner – die Ausstellung „Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft und Verbrechen“ fasziniert viele so sehr, dass sie bereit sind, eine Stunde und länger auszuharren.

Einen Ansturm erleben Museen selten. Regelmäßig übersteigt in Ausstellungsräumen die Zahl der Aufseher die der Besucher. Ein Museumsbesuch mag erkenntnisreich sein, aber er kostet auch. Nicht nur das Geld für den Eintritt, auch Zeit und Aufmerksamkeit.

Vom Philosophen Karl Popper stammt der Satz „Alles Leben ist Problemlösen“. Diese Erkenntnis dringt uns im Alltag nur selten ins Bewusstsein. Weil Probleme zu lösen, so selbstverständlich ist. Wir treffen Tag für Tag tausende Entscheidungen. Stehen wir unmittelbar nach dem Weckerklingeln auf oder bleiben wir noch ein paar Minuten im warmen Bett liegen? Kochen wir den Kaffee selbst oder holen uns am Bistro an der Ecke einen Coffee to go? Heben wir das Kaugummi-Papier auf, das uns beim Warten auf den Bus versehentlich zu Boden fiel, oder sparen wir uns die Mühe und versuchen den verachtenden Blick des Mitwartenden zu ignorieren?

Meist sind es kleine Probleme, nur die größeren werden uns bewusst. Letztere sind in einer Marktwirtschaft häufig Kaufentscheidungen. Wir geben Geld und erhalten etwas dafür. Butter, eine Prepaid-Karte fürs Handy, ein Auto, einen Urlaub. Je mehr Geld wir ausgeben, desto länger überlegen wir zuvor. Was geb ich, was bekomm ich? Nur, wenn der erwartete Wert größer ist, als der Betrag, den wir zahlen sollen, willigen wir in das Geschäft ein.

So entsteht im Kapitalismus der Wohlstand. Weil aus jedem Handel ein Mehrwert erwächst. Zumindest dann, wenn der erwartete Nutzen auch mindestens dem tatsächlich eintretenden entspricht. Ein Fußballspiel, für das 60.000 Stadionbesucher bezahlt haben und das, nach einem langweiligen Kick, 0:0 endet, ist eigentlich ein beträchtlicher gesellschaftlicher Wohlstandsverlust.

Was genau geschieht aber bei einer Kaufentscheidung? Was bringt Käufer dazu, einen bestimmten Preis zu akzeptieren? Und nach welchen Kriterien legt der Anbietende seine Preise fest?

Nirgendwo zeigen sich die Prinzipien des Kapitalismus anschaulicher als beim Eintritt. Nur wer zahlt, darf die Grenze überschreiten. Darf sich die Bilder der Ausstellung betrachten, seine Bahnen im Schwimmbad ziehen, mit der U-Bahn fahren.

Milliardenschwer ist jene Industrie, die ständig neue Wege sucht und findet, Barrieren zu errichten. Um nur jene durchzulassen, welche die Bedingungen akzeptiert haben. Kassensysteme, elektronische Ticketanlagen, Schranken – die Techniken sind so ausgeklügelt, weil auch jene, die das System überlisten wollen, schlau sind.

Ebenso komplex wie die Zutrittsbarrieren ist die Preisgestaltung. Einfach sind lediglich die zugrunde liegenden Motivationen. Deren gibt es zwei: Die einen wollen Gewinn und Umsatz maximieren, bei den anderen spielen soziale Aspekte eine Rolle. Vor allem staatlich subventionierte Kultureinrichtungen gestalten ihre Preise oft so, dass auch Menschen mit wenig Geld, eine Zugangschance erhalten. Zumindest dann, wenn sie sich einer bestimmten sozialen Gruppe zuordnen lassen.

Doch die Preisdifferenzierung nach Gruppen ist keineswegs nur ein soziales Gestaltungsmittel. Damit lässt sich auch der Gewinn steigern. Denn nur, wer viel hat, kann viel zahlen. Bevor aber, wer wenig besitzt, erst gar nicht zur Kasse schreitet, weil ihm der Eintritt zu teuer ist, wird er mit niedrigen Preisen gelockt.

Nicht immer treffen Preisvergünstigungen die Richtigen, tendenziell aber haben Studenten, Jugendliche und Familien weniger. Wer die Preise für jene niedrig hält, steigert seinen Umsatz, ohne beim zahlungskräftigeren Publikum auf Einnahmen verzichten zu müssen. Was sozial motiviert erscheint, dient der Gewinnmaximierung.

Manchmal lässt sich mit dem zahlenden Publikum sogar ein doppeltes Geschäft machen. Im Fußballstadion zum Beispiel. Dort variieren die Eintrittspreise besonders stark. Ein Logenplatz kostet mehrere hundert Euro, der Dauerkartenbesitzer im Fanblock zahlt pro Spiel dagegen nur ein paar Euro.

Eigentlich könnten die Veranstalter diese Karten teurer verkaufen. Aber sie hüten sich. Sie brauchen die Fans. Denn Fans machen Stimmung. Sie schwenken Fahnen, singen und grölen. Ohne diese Atmosphäre wäre ein Fußballspiel nur halb so schön. Auch und gerade vor dem Fernseher. Die Fans in den Stadien stützen die Einschaltquote. Die ist Milliarden wert. Gäbe es keine Fans, die Vereine müssten Schauspieler verpflichten. Es würde sich rechnen.

Von der schlauen Preispolitik der Fußballvereine können andere Einrichtungen lernen. Museen zum Beispiel. Denn ein Museumsbesuch ist ein Erfahrungsgut. Das ist problematisch. Denn man kann die Qualität erst dann ermessen, wenn sie konsumiert wird. Wer aber nicht weiß, was ihn erwartet, ist beim Geldausgeben zurückhaltend. Deswegen produzieren Filmemacher spektakuläre Trailer und Geisterbahnen auf Rummelplätzen sehen von außen oft angsteinflösender aus, als die Fahrt dann tatsächlich ist. Es wird dick aufgetragen, auf dass der potentielle Käufer in das ungewisse Geschäft einwilligt.

Museen tun sich schwerer, ihre Pfründe vor der Kaufentscheidung zu präsentieren.

Eine Möglichkeit, das Problem der Ungewissheit zu lösen, ist die Kasse nicht am Eingang, sondern am Ausgang aufzustellen. Gezahlt wird dann nach dem Konsum. Je länger der Museumsbesuch dauert, desto höher der Preis. Von den Ökonomen Bruno Frey und Lasse Steiner kommt dieser Vorschlag.

Ein Eintrittspreis nach Verbrauch habe den Vorteil, so die Wissenschaftler der Universität Zürich, dass der Besucher um so mehr zahle, je mehr ihm das Gesehene gefalle und er deshalb länger verweile.

Eine andere Methode um Besucherzahlen zu erhöhen und Besucherströme zu lenken: Die Staffelung der Preise nach Spitzenbesuchszeiten. Wer am Wochenende mehr verlangt und an schwächeren Tagen weniger, der steuert die Auslastung seiner Einrichtung.

Das Deutsche Historische Museum in Berlin übrigens denkt ebenfalls darüber nach, wie lange Warteschlangen in Zukunft verhindert werden können. Die Idee: Der Verkauf so genannter Zeitfenster-Tickets.

Wer an der Kasse bezahlt hat, darf dann nicht sofort die Ausstellung besuchen, sondern erhält erst zu einer vorgegebenen Uhrzeit Einlass, muss sich dafür aber auch nicht vor dem Eingang die Beine in den Bauch stehen. Bis 6. Februar ist die Hitler-Ausstellung noch zu sehen. Zeit genug, es besser zu machen als bisher.

One thought on “Zahlst Du, dann darfst Du: Nirgendwo zeigen sich die Prinzipien des Kapitalismus anschaulicher als beim Eintritt

  1. Schöner Artikel über Preisdifferenzierung. Das Wort “Kapitalismus” ist allerdings völlig falsch gewählt. Schön dargestellt ist, daß in einer Marktwirtschaft Preisdifferenzierung dafür sorgt, daß freiwillig “soziale” Lösungen zustandekommen, d.h. geringere Preise für zahlungsunwilligere, weil ärmere, Personenkreise. Der Grund ist natürlich die Grenznutzenlehre. Wer von Kapitalismus redet, erkennt aber die Grenznutzenlehre nicht an, sondern die AWT. Auch mit freiwilligen Entscheidungen hat er seine Probleme, weil es freien Willen nicht gäbe, sondern nur materialistischen Zwang durch die “Herrschaft des Kapitals” (deswegen Kapitalismus), die die armen nur weiter ausbeuten wolle.

    Daß gerade Preisdifferenzierung diese Behauptungen ganz prima widerlegt, fällt den Kapitalismuskritikern nicht auf, weil diejenigen Anbieter, die personalifizierbare Produkte anbieten (Museumsbesuche, etc.) meistens staatlich subventioniert sind und die Preisdifferenzierung deswegen als Ergebnis staatlicher Benevolenz und nicht wirtschaftlicher Effizienz aufgefaßt wird.

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