Alles Gute! – Warum wir an den Folgen der Weltwirtschaftskrise noch lange leiden werden

Wäre die Wirtschaft ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit Zipperchen und Wehwehchen, mit Phasen ohne Beschwerden und mit Zeiten schwerer Krankheit, wäre die Wirtschaft also ein Mensch wie Du und ich, sie säße wahrscheinlich gerade beim Entlassungsgespräch mit dem Stationsarzt.

Der würde noch einmal die lange Leidensgeschichte nachzeichnen. Die zahlreichen Therapien, die man durchgeführt habe, dass man ehrlich gesagt gar nicht genau wisse, ob eine davon angeschlagen habe, dass sich aber der Gesundheitszustand, warum auch immer, mittlerweile stabilisiert habe, dass man darüber sehr froh sei, und es nun wagen könne, den Patienten aus dem Krankenhaus zu entlassen.

Zum Abschied würde der Mann im weißen Kittel seine Hand reichen, dem Patienten mit der Autorität eines Stationsarztes ernst in die Augen schauen und sagen: „Ich verlasse mich darauf, dass sie weiter regelmäßig ihre Medikamente nehmen. Denn bedenken Sie: Ihnen mag es im Augenblick wieder besser gehen, aber die Rückschläge werden kommen, allein schon wegen der Nebenwirkungen in Folge der heftigen Therapien. Geheilt im Sinne der Medizin sind Sie noch lange nicht.“

Die guten Nachrichten häufen sich. Deutsche Produkte sind im Ausland wieder gefragt: Um 30 Prozent sind die Ausfuhren im ersten Halbjahr 2010 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Die Stimmung in der Wirtschaft ist prächtig: Der Ifo-Geschäftsklima-Index verzeichnet im Juli den kräftigsten Anstieg seit der Wiedervereinigung. Und auch die Kauflaune ist zurück: Nach einem kräftigen Sprung im Juli wird der Konsumklima-Index auch im August steigen.

Deutschland kommt gut aus der Krise, ist der Ökonom Hans-Werner Sinn überzeugt. „Ich glaube, dass die Welt sich zweiteilt, in Gewinner und Verlierer dieser Krise; wir gehören zu den Gewinnern, Amerika zu den Verlierern“, sagt das Mitglied des Sachverständigenrates. Warum das so ist? Weil die Krise viel mit Überschuldung zu tun habe und sich in den USA mittlerweile über 800 Milliarden Dollar Schulden aufgetürmt hätten, so Sinn. Das Exportland Deutschland dagegen habe zum Beispiel in Asien und in aufstrebenden so genannten Schwellenländern neue Partner gefunden und profitiere nun vom Wachstum dort.

Sie scheint also vorbei zu sein, die größte Weltwirtschaftskrise seit der großen Depression in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Welche Krise, möchte man fast fragen. Wo war sie?

Die Menschen sind weiter in den Urlaub gefahren. Sie haben ihre Wohnungen mit neuen Fernsehern und Computern ausgestattet. Sie konnten sich Lebensmittel im Überfluss kaufen. Welch ein Unterschied zur großen Depression! Damals hatten Millionen Menschen innerhalb kurzer Zeit ihre Arbeit verloren. Und weil das Sozialsystem von den heutigen Standards weit entfernt war, fiel ein Großteil in bittere Armut.

Wenn die aktuelle Weltwirtschaftskrise ein Drama war, dann jedenfalls kaum in Deutschland. 3,1 Millionen Menschen sind hierzulande arbeitslos. Viel zu viele. 2005 aber, als von der Weltwirtschaftskrise noch keiner sprach, waren es fünf Millionen gewesen. Und auch jene, die ihr Einkommen nur zum Teil mit ihrer eigenen Arbeit verdienen, die vielmehr ihr Vermögen arbeiten lassen und von den Zinsen leben, auch die haben unter der Krise nur kurz gelitten. „Die These, dass vor allem Vermögende zu den Verlierern der Krise gehören, ist zu verwerfen“, schreibt Gustav Horn, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Wirtschaftsdienst. Das Gegenteil sei der Fall. Den Vermögenden gehe es besser als vor der Krise.

Ist der Genesungsprozess also bereits abgeschlossen?

Vielleicht ist der Entschluss von Horst Köhler, das Amt des Bundespräsidenten an den Nagel zu hängen, damals gereift, als die Krise am größten schien. Die Bundesregierung beschloss Rettungsgesetze, eines nach dem anderen. Die Hypo Real Estate sollte überleben, ein Milliarden schwerer Sonderfonds zum Schutz vor weiteren Banken-Zusammenbrüchen wurde installiert, und Griechenland bat um Rettung. Die Parlamentarier konnten die Gesetzestexte gar nicht so schnell lesen, wie sie verabschiedet wurden.

Und auch der Bundespräsident hatte keine Zeit, von der Wahrung seines Prüfungsrechts Gebrauch zu machen. „Es wird nicht so sein, dass der Süden bei den so genannten reichen Ländern abkassiert“, hatte Köhler, der maßgeblich an der Aushandlung des Maastricht-Vertrags beteiligt war, 1992 gesagt. Das sei rechtlich nämlich gar nicht möglich. „Es gibt eine No-bail-out-rule.“ Jetzt musste er durchwinken, gegen was er gekämpft hatte: systematische Fehlanreize.

Ohne eine solche No-Bail-out-Regel droht einem gemeinsamen Währungssystem nämlich die Selbstzerstörung. Weil sich die Folgen unverantwortlichen Handelns eines Landes auf viele Länder verteilen, erhöht sich der Anreiz, sich gemeinschaftsschädigend zu verhalten.

Konkret: Hat jedes Land seine eigene Währung, führt eine hohe Staatsverschuldung dazu, dass übermäßig viel Geld in Umlauf kommt. Das wiederum schürt Inflation, was einer Abwertung des eigenen Geldes gleichkommt. Die Einwohner eines solchen Landes können sich mit dem gleichen Geld folglich weniger kaufen. Das ist nicht schön, aber gerecht: Ein Land, das sich verschuldet, muss die Folgen selbst ausbaden.

In einer Währungsunion aber verteilen sich die negativen Folgen (Inflationsanstieg) auf das gesamte Währungsgebiet, während die positiven Effekte der Staatsverschuldung (Politiker können ihren Wählern Wahlgeschenke anbieten) im Land selbst bleiben.

Und noch einen zweiten Fehlanreiz fängt man sich bei einer Währungsunion ein. In einem solchen Zusammenschluss sind die Länder aufeinander angewiesen. Der Bankrott des einen Landes kann andere Länder mit in den Abgrund reißen. Deshalb kann sich jede Regierung sicher sein, dass ihr im Notfall andere Länder der Union unter die Arme greifen. Sie werden ein bankrottes Land retten, um nicht selbst unterzugehen. Fazit auch hier: Der Anreiz der Überschuldung steigt in einer Währungsunion, weil die negativen Folgen von anderen mitgetragen werden.

Deswegen gibt es im Maastricht-Vertrag die so genannte No-Bail-out-Regel, die es den Ländern gegenseitig untersagt, sich zu helfen. Und es gibt Verschuldungsgrenzen. Und auch die Europäische Zentralbank darf nicht eingreifen. Letztlich sollten die Länder mit der No-Bail-out-Regel vor sich selbst geschützt werden. Damit sie sich nicht gegenseitig ausnutzen.

Horst Köhler hat das alles gewusst. Er hat die Rettungsgesetze dennoch durchgewunken.

Jetzt gibt es einen Staatenrettungsfonds, der auf den Namen European Financial Stability Facility (EFSF) hört. Den können überschuldete Länder bis zu einer Höhe von 440 Milliarden Euro in Anspruch nehmen. Es wäre ein Wunder, wenn – um an das Geld zu kommen – im Laufe der Zeit die Zahl derer Staaten, die Not leiden, nicht steigen würde. Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht morgen. Aber die Zeit wird kommen. Weil jetzt jeder weiß: Die No-Bail-out-Regel gibt es nur auf dem Papier.

Aber nicht nur Staaten werden gerettet, sondern bekanntermaßen auch Banken. Die Errichtung des mit 500 Milliarden Euro dotierten Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) wurde von der Ankündigung begleitet, man werde binnen 100 Tagen eine neue Weltfinanzarchitektur schaffen. „Bei diesem frommen Wunsch ist es dann auch geblieben“, resümiert Professor Stefan Homburg, Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover, ebenfalls in der aktuellen Ausgabe des Wirtschaftsdienstes.  Die Bankenrettung habe Fehlanreize geschaffen, denen keine geartete Regulierung wirksam begegnen könne, so Homburg.

Denn für Banken gilt das gleiche wir für Staaten: Wer weiß, dass ihm im Notfall geholfen wird, der wird sein Verhalten entsprechend anpassen. Die Banken werden in Zukunft noch mehr riskieren als bisher. Weil sie wissen, dass sie die durch riskante Geschäfte erzielten hohen Gewinne behalten, aber die Verluste auf andere (die Steuerzahler) auslagern können.

In der gerade abflauenden Krise ist bereits die Saat für die nächste Krise gelegt. Eine dauerhafte Genesung ist nicht in Sicht.

Auch, weil Konjunkturprogramme und Rettungsfonds der Politik die Luft zum Atmen nehmen. Der Spielraum der öffentlichen Hand sei auf Jahre, vielleicht Jahrzehnte in unumkehrbarer Weise beschnitten, so Homburg, für Steuersenkungen und verbesserte Bildungsangebote kein Spielraum vorhanden. „Die Mittel der Konjunkturprogramme sind ausgegeben oder verplant, und aus den mit Soffin und Financial Stability Facility freiwillig begründeten Rechtspflichten kommt Deutschland nicht heraus.“

Die Folgen der Krise spürt also nicht nur der Steuerzahler. Sie sind auch in der Politik angekommen. Die Einengung politischer Möglichkeiten ist für Homburg  der entscheidende Grund für das desolate Erscheinungsbild von Schwarz-Gelb in Berlin. „Die versperrte Möglichkeit, Wähler durch gelegentliche Steuersenkungen oder Ausgabenerhöhungen für sich einzunehmen, ist meines Erachtens der tiefere Grund für die sonst kaum erklärlichen Zerfallserscheinungen der neuen Bundesregierung.“ Und sie seien ebenso die Hauptursache der um sich greifenden Flucht- und Absetzbewegungen wichtiger Entscheidungsträger der Koalition.

Der Arzt mag seinen Patienten nach Hause geschickt haben. Aber der Arzt weiß, dass der Patient bald wiederkommen muss.

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