In Dresden haben sie die Roma mit dem Gesetz vertrieben. Durch die Verschärfung der städtischen Polizeiverordnung. Dort steht nun, dass, „wer unter Vortäuschung körperlicher Gebrechen bettelt“, mit bis zu 1000 Euro Strafe rechnen müsse.
Sie laufen jetzt mit ihren verdrehten Füßen und ihren krummen Rücken durch andere Fußgängerzonen. Bis sie auch dort weggeschickt werden, oder bis keiner mehr was gibt, weil sich rumgesprochen hat, dass die vermeintlichen Krüppel nur kleine Artisten sind. Die ihre Entstellungen nur spielen. Ziemlich gut spielen.
Sie sind die Schauspieler unter den Bettlern, diese Roma aus Osteuropa. Und sie werden nicht gerne gesehen in Deutschland. Nicht von den anderen Bettlern, nicht von den potenziellen Spendern. Wenn schon gebettelt werde, dann doch bitte von jenen, die tatsächlich ein Gebrechen hätten. Oder denen sonst wie vom Leben übel mitgespielt wurde. Die Roma seien wohl arm, aber meist gesund. Zumindest nicht so krank, wie sie sich geben.
Und noch ein Grund wird gegen die bettelnden Roma ins Feld geführt. Deren Auftreten sei von langer Hand organisiert. Eine Bettler-Mafia sei am Werk, welche diese Menschen zum Betteln nötige. Die würden auch das gesammelte Geld kassieren. So liest man es in Boulevard-Medien.
„Diese Form der Ausbeutung habe ich nicht gefunden“, sagt Marion Thuswald. Sie hat ihre Diplomarbeit über Bettler in Wien geschrieben. Auch dort hat man das Gesetz verschärft. Mit der gleichen Wirkung, aber einem anderen Argument: In Wien ist seit neuestem das „organisierte Betteln“ verboten. 700 Euro Strafe oder eine Woche Haft droht, wer nicht auf eigene Rechnung bettelt, als Ich-AG sozusagen.
Ja, die Bettler aus Osteuropa seien organisiert, aber selbst-organisiert, sagt Thuswald, die mit einer Dolmetscherin vor allem Roma-Frauen gesucht, gefunden und interviewt hat. Organisation sei überlebenswichtig. „Es ist in der Migrationsforschung ein bekanntes Phänomen, dass Menschen, die sonst kein Kapital haben, ihr soziales Kapital, also familiäre und ethnische Netzwerke, nützen.“
Dieser Zusammenhalt sei aber lediglich die Voraussetzung, um im Ausland betteln zu können, so Thuswald weiter. Es bedürfe darüber hinaus spezifischer Fähigkeiten. Man brauche Orientierungsfähigkeit, um sich in fremden Städten zurechtzufinden, grundlegende Sprachkenntnisse sowie die Kompetenz, sein Anliegen glaubhaft „rüberzubringen“.
Für Thuswald ist Bettler sein ein Beruf. Auch weil sich der Bettler mit seiner Tätigkeit eine Lebensgrundlage verschaffe.
Und wie bei vielen Berufen, steht am Beginn die Investition: eine Reise von Rumänien nach Deutschland, der Kauf eines Akkordeons oder einer Krücke, die Anschaffung eines Tieres. Vielleicht treiben die Roma nur auf die Spitze, was betteln schon immer war, nämlich eine ausgefeilte Technik, Menschen in Sekundenschnelle davon zu überzeugen, von ihrem Vermögen etwas abzugeben.
Die Strategien jedenfalls sind zahlreich und erprobt: Am Abend bettelt es sich erfolgreicher als am Morgen (weil am Morgen die Menschen zur Arbeit hetzen), ebenso am Monatsanfang im Vergleich zum Monatsende (weil zum Monatsbeginn meist das Konto der potenziellen Spender gefüllter ist), vor Supermärkten wird besonders gerne gegeben, auch mehr bekommt, wer etwas bietet (zum Beispiel ein Musikinstrument spielt oder eine Obdachlosenzeitung in der Hand hält), auch wer einen Hund dabei hat, erhöht die Spendenbereitschaft (je kleiner der Hund, desto besser).
Immer geht es darum, den Anschein der Bedürftigkeit zu erwecken, zumindest von Sympathie. Mehr kann ein Passant in dem kurzen Augenblick einer flüchtigen Begegnung gar nicht über einen Bettler erfahren. Nicht wie hilfsbedürftig er tatsächlich ist, schon gar nicht, wie viel Eigenverantwortung er für sein Schicksal trägt.
Betteln ist die Kunst der Selbstvermarktung im Sekundentakt.
Denn vom Betteln kann, wer schlau ist, ganz gut über die Runden kommen. Auch weil das Erbettelte steuerfrei ist und nicht auf Hartz IV angerechnet wird. Wer die Kunst der Selbstvermarktung nicht beherrscht, dem geht es wirklich dreckig. Wer nicht in der Lage ist, sich zu organisieren, eine Strategie zu entwerfen. Wer nur am Boden sitzt, wer nichts sagt, wer kein Pappschild beschrieben hat, wem es nicht einmal mehr gelingt, traurig dreinzuschauen. Wer soweit unten ist, dass er zur Unterschicht unter den Bettlern gehört, der geht auch bei den Almosen meist leer aus.
Aber auch für viele der Geschickteren unter den Bettlern sind die Zeiten schlechter geworden. Die Konkurrenz ist groß. Das war früher anders. In den 70er Jahren war das Bettelverbot aus dem Strafgesetzbuch genommen worden. Davor hatte sich, wer auf deutschen Straßen bettelte, nach § 361 Nr. 4 StGB strafbar gemacht. Demnach war die Bettelei eine “gemeinschädliche“ Straftat, die mit einer Haftstrafe von bis zu sechs Monaten sowie mit “Arbeitsdienst” bestraft werden konnte. In den 1950er und 1960er Jahren wurden jährlich mehrere hundert Menschen verurteilt.
Mit der Strafrechtsreform von 1974 wurde das Betteln legalisiert, und da die Zahl der Bettler zunächst gering war, verteilten sich die Almosen auf relativ wenige. Es gibt manche Geschichte von stadtbekannten Bettlern, die sich über die Jahre ein kleines Vermögen zusammenschnorrten.
Auch im Mittelalter war es den Bettlern vergleichsweise gut gegangen. Damals galt Armut nicht selbstverschuldet, sondern von Gott gegeben, und wer einem Bettler Almosen gab, sichert sich sein Seelenheil. Ähnliches gilt für den Islam noch heute . Wer nicht Almosenheischenden oder dem armen Nachbarn am besten unbemerkt nach Kräften gibt, lädt sich Sünde auf die Seele und Schande auf sein Haus. Und wer umgekehrt aus Not bettelt, der vollzieht ein islamisches Menschenrecht, erhobenen Hauptes, in aller Würde. Ein solcher Bettler räumt den Gebenden die Steine vom Pfad der Tugend aus dem Weg, er macht das Edelsein bequem und verdient folglich alle Achtung.
Der Bettelnde als Sinnstifter und Heilsbringer – mit diesem Blick sehen heute wohl nur noch Wenige auf Bettler.
So man sie überhaupt sieht.
Aus manchen Innenstädten sind sie nämlich verschwunden. In München zum Beispiel ist laut Stadtsatzung das Betteln und Lagern seit vielen Jahren verboten. So wie es bereits hundert Jahre davor in Paris war: Die Frage, wie eine Gesellschaft mit Bedürftigen umgeht, die auf öffentlichen Straßen um Almosen bitten, trieb 1894 den französische Schriftsteller Anatole France um. Das Gesetz mache auf erhabene Weise gleich, schrieb er voller Ironie. „Es verbietet allen Menschen, unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln oder Brot zu stehlen – den Armen ebenso wie den Reichen.”
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