Ist der Staat für unser Glück zuständig?

Der Staat soll die Menschen glücklich machen! Aristoteles hat dieses Postulat aufgestellt. „Zielgut der Staatskunst“ und „das höchste Gut im Gebiet des Handelns“, so schreibt der griechische Philosoph in der Nikomachischen Ethik, sei die „Glückseligkeit“.

Mehr als 2300 Jahre später scheint die Forderung aktueller denn je. Im südasiatischen Königreich Bhutan werden Glück und Zufriedenheit amtlich erfasst und im “Brutto-Sozial-Glück” ausgewiesen, die britische Regierung lässt untersuchen, wie man „glücklich sein“ messen und es zur Grundlage politischen Handelns machen kann, in die offiziellen US-amerikanischen Gesundheitsstatistiken fließen die empirischen Ergebnisse über die Zufriedenheit der Bürger ein und erst kürzlich haben die Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Amartya Sen im Auftrag des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ein Gutachten zur besseren Messung des ökonomischen und sozialen Fortschritts erstellt.

Bereits auf seiner ersten Pressekonferenz als Staatsoberhaupt hatte Sarkozy wissen lassen, dass ihm das Bruttosozialprodukt nicht mehr genüge, um den Wohlstand der Franzosen zu messen. Es müssten bessere und umfassendere Messdaten her. Vielleicht wollte Sarkozy nur von den niedrigen französischen Wachstumsraten ablenken.

Recht hatte er dennoch. Der Mensch lebt nicht vom BIP allein. Gesundes Essen, saubere Luft, Frieden, steigende Lebenserwartung: Vieles von dem, was uns wichtig ist, schlägt sich nicht in der Wachstumsstatistik nieder. Anderes wird erfasst, obwohl es den Wohlstand senkt. Wer etwa mit seinem Auto im Stau steht, der erhöht – da er Sprit verbraucht – die Wirtschaftsleistung, dabei verschwendet er Ressourcen und Nerven.

1974 hat der US-amerikanische Ökonom Richard Easterlin Untersuchungen veröffentlicht, wonach die Menschen zwar immer reicher werden, aber dabei nicht glücklicher. Dieses so genannte Erste-Welt-Paradox hat die empirische Wissenschaft mittlerweile mehrfach bestätigt.

Auch in Deutschland hat die Lebensqualitätsforschung seit Jahrzehnten einen festen Platz. Wir wissen heute, dass das absolute Einkommen eines Menschen viel weniger wichtig für seine Zufriedenheit ist als das relative (also wie viel er im Vergleich zu seinen Nachbarn und Freunden verdient). Wir wissen, dass Menschen, die ein Ehrenamt begleiten, glücklicher sind. Das Gleiche gilt für Menschen, die viele Freunde haben. Auch wer verheiratet ist, ist in der Regel zufriedener und ebenso, wer in einer Umgebung lebt, in der die ethnischen Unterschiede gering sind. Deutlicher als viele glauben, reduziert hingegen langes Pendeln zur Arbeitsstätte das Zufriedenheitsgefühl. Und der Verlust des Arbeitsplatzes wirkt sich verheerender aus als vielmals angenommen wird.

Was aber folgt aus diesen Erkenntnissen für die Politik? Sollen die Ergebnisse der Forschung in politische Entscheidungen münden?

Das 2006 beschlossene Elterngeld gilt heute als Erfolg auf dem Weg zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Weil die vollständige 14-monatige staatliche Unterstützung nur jene Familien erhalten, in der auch der Mann für mindestens zwei Monate eine berufliche Auszeit nimmt, steigt der Väteranteil seit der Einführung des Gesetzes stetig an.

Ein Wohlstandsgewinn?

Warum glaubt der Staat die Menschen bei ihren individuellen Entscheidungen in eine bestimmte Richtung drängen zu müssen? Warum lässt er nicht jedes Paar selbst entscheiden, wie sie ihr Leben organisieren wollen? Weil er glaubt es besser zu wissen! Darin liegt eine wesentliche Gefahr der Glücksforschung.

Dass der Staat Arbeitsplätze möglichst sicher machen soll, weil deren Verlust für viele dramatisch ist, dem wird vermutlich noch jeder zustimmen. Aber soll er auch das Heiraten fördern, weil Verheiratete in der Regel glücklicher sind? Oder die Migration beschränken, um ethnische Unterschiede zu reduzieren? Oder ein Ehrenamt für jeden zur Pflicht machten?

Wo Menschen zum Glück gezwungen werden, entsteht das Unglück.

Es stimmt zwar, dass wer ein Ehrenamt begleitet, in der Regel glücklicher ist. Aber würden jene, die bisher nicht ehrenamtlich arbeiten, dadurch ihr Wohlbefinden verbessern, wenn man ihnen ein solches Amt aufbürden würde? Vielleicht macht ja gar nicht das Ehrenamt glücklich, sondern jene Lebenseinstellung, die Menschen dazu veranlasst, eine solches Amt anzunehmen.

Nicht weniger problematisch wäre die Einführung einer Zielgröße für Lebensqualität, eines Glücksindikators sozusagen. Er würde zur Zielscheibe für Manipulation. Die Regierung würde mit Wohltaten versuchen, Befragungen positiv zu beeinflussen, die Opposition würde dazu aufrufen, Unzufriedenheit deutlich zu artikulieren.

In der Glücksforschung verhält es sich wie mit Heisenbergs „Unschärferelation“: Je genauer man hinschaut, desto stärker wird das Ergebnis beeinflusst. Indikatoren der Lebenszufriedenheit laufen Gefahr ihren Wert zu verlieren, sobald sie in den Fokus der politischen Aufmerksamkeit geraten.

Deshalb: Die Glücksforschung kann Orientierung geben, alles weitere muss in der politischen Diskussion und in Wahlen entschieden werden, also mit den Mitteln der Demokratie – übrigens jene Gesellschaftsform, welche nachweislich am glücklichsten macht.

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Gleiches Thema, nur ausführlicher:
Paper des Rates für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD): „Sind Indikatoren zur Lebensqualität und zur Lebenszufriedenheit als politische Zielgrößen sinnvoll?

Dieser Artikel erscheint auch im Südkurier.

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