Wohlstand für Alle? – Während Deutschland seinen 60. Geburtstag feiert, steckt die Marktwirtschaft in der Krise – zumindest glauben das viele.

Wer sich den Begriff ausgedacht hat, ist ungewiss. Manche meinen, Ludwig Erhard selbst ist es gewesen: Während eines Gesprächs im Januar 1945 soll der spätere Wirtschaftsminister der Bundesrepublik und personifizierte Mythos des deutschen Wirtschaftswunders die Formulierung “Soziale Marktwirtschaft” erfunden haben. Kaum Zweifel dagegen gibt es, wer das Wortpaar erstmals nieder schrieb. Der Freiburger Ökonom Alfred Müller-Armack nannte so ein Kapitel in seinem 1946 erschienen Buch “Wirtschaftslenkung und Marktwirtschaft”.

Sechs Jahrzehnte hat das Schlagwort von der „Sozialen Marktwirtschaft“ die Republik begleitet. Nie ist es aus der Mode gekommen. Wer es für sich reklamiert, hat die Fürsprecher auf seiner Seite. Weil es zwei Hoffnungen verbindet: Wohlstand und Gerechtigkeit – eine Kombination, die bekanntermaßen nicht immer Hand in Hand geht.

Schon gar nicht heute. Zum 60. Geburtstag des Landes sehen viele die Marktwirtschaft in der Krise. In den letzten Monaten ist die heimische Wirtschaft so stark geschrumpft wie noch nie. Deutschland hat es vom Trümmerland zum Exportweltmeister geschafft, doch jetzt vermuten nicht wenige das Ende der Wohlstandsära. Die Marktwirtschaft habe ihre Verfallsdatum überschritten.

Es ist die Hysterie des Augenblicks, die solchen Thesen Zustimmung bringt. Ein Schritt, ein Blick zurück zeigt: Krisen hat es in der Marktwirtschaft schon immer gegeben – und, sie gehen vorbei. Ende der 80 Jahre platzte in Japan eine Immobilienblase, die Aktienmärkte brachen ein. Es folgte die Finanzkrise Mitte der 90er Jahre in Südostasien.

Vor allem aber: Finanzkrisen sind nicht ein Merkmal des Neokapitalismus. Der „Tulpenwahn“ zu Beginn des 17. Jahrhunderts ist ein gut dokumentiertes Beispiel dafür, dass es durch Finanzkrisen ausgelöste Wirtschaftskrisen schon lange gibt. Die Züchtung von Tulpen war ein Hobby reicher Niederländer gewesen. Ab etwa 1630 nahm der Handel zu, die Preise stiegen. Irgendwann verselbständigte sich dieser Handel – die Geburt der Finanzderivate. Nicht mehr Tulpenzwiebeln wurden gehandelt, sondern das Anrecht auf deren Kauf. Das Objekt des Geschäfts steckte noch in der Erde, wenn überhaupt. In der Spekulationswelle 1636/37 verdreifachten sich die Preise. Einfache Handwerker steckten ihr Vermögen in die Börse – bis die Blase platzte. Zurück blieben überschuldete Spekulanten. Läden mussten geschlossen, Häuser verkauft werden. Die Finanzkrise kam in der Realwirtschaft an.

Es sind in der Geschichte der Krisen häufig neue Finanzprodukte gewesen, die zuerst den schnellen Aufschwung erzeugt und später den Absturz verursacht haben. Auch in der aktuellen Krise ist das so. Finanzinnovationen förderten den Boom des amerikanischen Immobilienmarktes. Kreditrisiken wurden verbrieft und weiter gegeben. Kreditketten entstanden, der Überblick ging verloren.

Informationsasymetrien sind der eine, die staatliche Geldpolitik der andere Grund für den Niedergang heute, genauer gesagt die massive Ausweitung der Geldmenge vor der Krise. Und zwar sowohl durch die amerikanische als auch die europäische Notenbank. So ist die relevante Geldmenge vom ersten Quartal 2000 bis zum zweiten Quartal 2008 um 64,8 Prozent ausgeweitet worden, bei einem realen Zuwachs des Bruttoinlandprodukts (BIP)um 19,5 Prozent. Die europäische Zentralbank (EZB) weitete die Geldmenge im selben Zeitraum gar um fast 90 Prozent aus. Dabei stieg das BIP nur um 15 Prozent. Die Ausweitung fiel nur deshalb kaum auf, weil dank der Billigimporte aus Asien die Inflation moderat war.

Die Gründungsväter der sozialen Marktwirtschaft um Alfred Müller-Armack und Walter Eucken wussten um die Gefahren einer expansiven Geldpolitik. Geldwertstabilität gilt als eines der wichtigsten ordoliberalen Prinzipien. Ein anderes: das Haftungsprinzip. „Wer den Nutzen hat, muss den Schaden tragen“, schrieb Eucken.

Was also lehrt uns die aktuelle Krise?

Erstens: Staatliche Geldpolitik neigt zur Expansion. Weil sie kurzfristig Wachstum fördert und durch Inflation die realen Staatsschulden reduziert, ist die Geldmengenausweitung ein beliebtes Instrument der Machthabenden. Der Schaden zeigt sich erst in der langen Frist (Spekulationsblase platzt) und trifft die Gläubiger des Staates (meist Privatpersonen). Eine von kurzfristigen Politik-Interessen befreite und auf Geldwertstabilität ausgerichtete Notenbank kann Konjunktureinbrüche, wenn nicht verhindern, so wenigstens abschwächen.

Zweitens: Finanzkrisen entstehen häufig durch neue Finanzprodukte und deren Undurchschaubarkeit. Diese transparent zu machen und gegebenenfalls gar nicht zu zulassen, ist Aufgabe der staatlichen Finanzaufsicht. Nur so kann verhindert werden, dass die Folgen von Spekulationsblasen die Gesellschaft der Steuerzahler tragen muss.

Drittens: Krisen gehen vorbei. Falsche Lehren aus Krisen aber richten dauerhaften Schaden an. Etwa die Beschneidung des freien Wettbewerb, dem Herz der Marktwirtschaft und die Basis für Wohlstand – oder wie Ludwig Erhard es formulierte: „Wohlstand für alle und Wohlstand durch Wettbewerb gehören untrennbar zusammen; das erste Postulat kennzeichnet das Ziel, das zweite den Weg, der zu diesem Ziel führt.“

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